Zwischen den Rillen
: Bundescancler

■ Allround-Ennui aus Hamburg: Schorsch Kamerun und Brüllen

Gleich auf der Rückseite von Schorsch Kameruns Soloalbum „Now: Sex Image“ fällt einem der Hinweis (die Warnung?) auf, den Kamerun meint, allen wohlgesinnten KonsumentInnen ins Stammbuch schreiben zu müssen: „Die Verpackung dieser CD steht in keiner direkten Beziehung zu ihrem beinhalteten Tonträger. Sie will ihm vielmehr vorstehen und ohne Rücksicht auf seine Anliegen ein bestimmtes Image aufladen“ etc. pp. Kulturkritik und -pessimismus zum 112ten? Oder launiger Hamburger Humor? Natürlich weiß Schorsch Kamerun um die Images, die gerade im Pop oft alles bedeuten, während Persönlichkeiten und Inhalte dahinter glatt verschwinden.

Image Schorsch Kamerun: Polit-Punk. Er ist u.a. auch Sänger und Gitarrist der Goldenen Zitronen, die gemeinhin als explizit politischste deutsche Band gilt; er ist Mitbesitzer und DJ des Pudel-Club, der in Hamburg ziemlich angesagt ist, sich aber donquichottesk dagegen wehrt, im dortigen Nightlife- Treiben ausverkauft zu werden und zuletzt zeitweilig in „Night- Bistro Munich“ umbenannt wurde.

Musikalisch unternimmt Kamerun mit seinen Alben alles, um nicht von den falschen Leuten in Beschlag genommen zu werden; von Leuten, die aus reinem Opportunismus – oder weil es plötzlich schick ist – dieselben musikalischen und sozialen Räume besetzen wollen. „Now: Sex Image“ ist ein schwerer Brocken, der keine Entspannung verspricht, der nichts ist für die Leute, die nach getaner Arbeit einfach mal abschalten und sich beschallen lassen wollen. Eine dadaistische Kakophonie, die weniger Songs als Sounds und Geräusche enthält, haufenweise elektronisches Gerumpel, Geknatter und ein paar Brechbeats.

Immerhin gibt es zwei Songs mit Kneipenhitpotential: „Einverstanden“, eine (Anti-)Hymne auf das tägliche und einlullende Mitmachen und Rabotten, sowie „K-HH“ eine schmissige Fingerübung auf Kameruns neuem elektronischem Equipement, entstanden im ICE zwischen diesen beiden Städten. Das ist praktisch, denn dort wird man Kameruns jüngsten Streich auch am liebsten hören wollen.

Ähnlich wie „Now: Sex Image“ ist auch „Schatzitude“ von der Hamburger Band Brüllen ein Album, das in Wort und Musik jeder Konsensfähigkeit und Eingängigkeit Hohn spricht. Insbesondere der Text macht hier die Party, nicht die Musik, und Brüllen interessieren sich – wie das von der Plattenfirma mitgegebene Infoblatt verrät – höchstens in „kitschigen Launen weitschweifig für Rock“.

In diesem Fall ist es dürrer, klappriger Indierock, der die Texte von Sänger und Gitarrist Kristof Schreuf transportiert. In dem Stück „Dämmerung canceln, Gesang stehen lassen (Tageslaune)“ reißt er die musikalische Programmatik einmal kurz an: „Ich will keine harten Sounds, die sehen nicht gut aus / Will keine schweren Sounds, die klauen die Farben, und das wird mir zu schwer.“ Tageslaune hin, Musik her: Schreuf, der seinerzeit mit der Kolossalen Jugend die Hamburger Schule – auch so ein Image/Label – nolens volens mit auf den Weg gebracht hat, scheint sich inhaltlich vor allem für sich selbst und seine wechselnden Befindlichkeiten zu interessieren: Zeitweise trägt er schwer an der Last, „ICH“ (und nicht einfach ein anderer) zu sein, und dann machen Sorgenfalten das Hören schwer: „Ich werd' nicht fertig und nicht fix, und die Verrückheit ändert sich, es macht fertig, ich mache aus, meine Welt ist nicht die meine.“ („Bass für Flughäfen“); „Ich sag' es jedem, ich werd' nicht gut unterhalten, deshalb halte ich mich nicht gut aus“ („Smoke“); „Und dann ist da noch die Angst, daß es einem nicht gut geht, wenn man sich spürt“ („Raus aus dem Raussein“).

Schwerer Fall von Depersonalisation, und wenn Schreuf dann noch singt: „ich kenne Leute, die vom Glück reden, nicht der zu sein, an dem man hängt“, möchte man am liebsten schleunigst in die nächste Talkshow rennen und mit Campino oder Bela B. unbeschwert und heiter über Popmusik quatschen.

Oft allerdings hört sich das, was Schreuf hier singt und quengelt, einfach auch nur gut an; er zitiert, verändert, bringt seine Wörter in neue, ungewohnte Zusammenhänge: „mein Freund hat mit mir Kunst gemacht“, „ich weiß, was ich viel“, „jetzt geht's bloß, jetzt geht's bloß“. Das klingelt in den Ohren, funkelt, und so wie Schreuf Sounds ein Aussehen gibt, fühlen sich seine Sätze und Wörter geschmeidig an und stehen Schlaubergern wie Tumbnasen gleichermaßen gut ins Gesicht geschrieben: „Was ich noch zu sagen hätte, dauert die Länge einer Zigarettenfabrik.“ Gerrit Bartels

Schorsch Kamerun: „Now: Sex Image“ (L'Age D'Or/Efa)

Brüllen: „Schatzitude“ (Buback/Indigo)