Gefühl und Härte

Was leistet das stehende Heer für die Zivilisierung des Mannes? Ein Sammelband zum Komplex „Militär und Gesellschaft“ gibt Antwort  ■ Von Karin Wieland

Die nationale Bedrohung durch das Wasser konnte nach Meinung Volker Rühes nur durch „sympathische junge Männer“, wie sie die allgemeine Wehrpflicht hervorbringt, bewältigt werden. Eine Berufs- und Freiwilligenarmee setzt er mit einer Ansammlung von „Rambos“ gleich – und die entsprechen nicht seinem Bild vom deutschen Soldaten.

Mit solchen Verlautbarungen favorisiert der Bundesverteidigungsminister Ende des 20. Jahrhunderts ein Konzept der inneren Nationwerdung, das vom Beginn des 19. Jahrhunderts stammt. Ute Frevert, bekannt unter anderem durch ihre großangelegte Studie zum Duell, hat sich des lange von der Wissenschaft vernachlässigten Themas von Militär und Gesellschaft angenommen und einen Sammelband dazu vorgelegt.

Ein Schwerpunkt darin ist „Militär und Nationsbildung“, was am Beispiel Deutschlands, der Schweiz, Großbritanniens, der USA und Rußlands ausgeführt wird. Besonders hervorzuheben ist der Aufsatz von Stig Forster über die Landstreitkräfte in den Vereinigten Staaten. Er geht von der ersten militärischen Revolution aus, die im Europa des 16. Jahrhunderts mit der Nationalstaatsbildung zusammenfiel. Stehende Heere wurden durch Steuereinnahmen unterhalten und waren Garant und Symbol des neugeschaffenen staatlichen Gewaltmonopols nach außen wie nach innen. Die Soldaten waren allein dem Monarchen verpflichtet und führten ein von der zivilen Bürgergesellschaft abgeschottetes Dasein. Es waren die Kolonisten Amerikas, die ihre militärische Selbstorganisation im Aufstand gegen den englischen Monarchen erstmals erprobten.

Damit brachten sie die militärische und politische Ordnung Europas durcheinander, wurden sie doch 1792 zum Vorbild der revolutionären Armee der Grande Nation. „Der Krieg war plötzlich wieder eine Sache des Volkes geworden“, kommentierte Carl von Clausewitz. Stig Forster gelingt es hervorragend, das Wechselspiel der militärischen und politischen Ideale, das sich zwischen der Alten und der Neuen Welt entwickelte, zu beschreiben. Einen weiteren Schwerpunkt des Bandes bildet der Komplex „Militär und Geschlechterordnung“.

Ute Frevert selbst untersucht „Das Militär als ,Schule der Männlichkeit‘“. Diese Fragestellung ist deshalb so brisant, weil die Historikerin die These vertritt, die preußische Staatsbürgergesellschaft habe sich nicht in der Nationalversammlung, sondern in der Kaserne konstituiert. Die Erziehung des preußischen Soldaten wurde stolz als eine Art Zivilisierung des Mannes ausgegeben. Als Ideal galt der „körperlich abgehärtete, opferbereite, beherrschte, willensstarke, kontrollierte, kameradschaftliche, antiindividualistische“ Mann.

Sabine Brändli führt Freverts Ausführungen in gewissem Sinne fort. Im Mittelpunkt ihres Aufsatzes steht der Soldat als Diener. Während der Bürger sich in den nüchternen Anzug kleidete, um den Angelegenheiten des Staates nachzugehen, gefiel sich der Soldat in „klirrender Buntheit“ (Joseph Roth) und die Frau in aufwendigem Putz. „Stellvertretende Repräsentation eignete sich nur für diejenigen, die vom Gleichheitsgrundsatz nicht erfaßt waren: Frauen und Diener. War der Diener auch Staatsbürger, ,entmannte‘ ihn die prächtige Livree, ließ ihn als weiblich erscheinen, weil das Geschlecht als einzige Kategorie auch in einer Demokratie noch lange die Abhängigkeit und Unselbständigkeit der Nichtbürger rechtfertigte.“

Doch der Soldat besaß eine hohe Anziehungskraft auf Frauen. Sie wußten, daß die andere Seite der Disziplin die der Ausschweifung ist. Die Uniform versprach ihrem Träger einen „Männlichkeitsschub“ (Arthur Schnitzler), weshalb die deutschen Offiziere sie auch gern beim Besuch des Bordells trugen. Durch die Einführung der Militärpflicht im Zeitalter des Nationalismus „konnte die Militärtauglichkeit zum universellen männlichen Geschlechtscharakter gerinnen“. Brändlis Beitrag löst die in der Einleitung versprochene Mischung aus Sozial- und Kulturgeschichte meisterhaft ein.

Während das 19. Jahrhundert auch in diesem Sammelband, wie bei deutschen Historikern üblich, gut und kenntnisreich dargestellt wird, fällt die Behandlung des 20. Jahrhunderts vergleichsweise blaß aus. Dies ist um so bedauerlicher, als die Vorstellungen vom Soldaten und vom Bürger im Umbruch begriffen sind. Der Soldat wandelt sich vom Symbol nationaler Männlichkeit zum Freund der Völker und Retter bei Katastrophen. Er wird zum guten Menschen. Der letzte Ausdruck des Bürgers dagegen ist der des Kriegers, der als einsam Überlebender auch mit den Mitteln des Terrors für Gerechtigkeit kämpft.

Ute Frevert (Hg.): „Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert“. Klett-Cotta, Stuttgart 1997, 370 Seiten, 78DM