Grenzen der Versöhnung in Südafrika

Die Mörder von Chris Hani beantragen Amnestie vor Südafrikas Wahrheitskommission – und könnten damit durchkommen. Die Angehörigen verzweifeln bei dem Gedanken  ■ Aus Johannesburg Kordula Doerfler

Der schmale Gang im Rathaus von Pretoria trennt zwei Welten. Vorne links sitzt das alte Südafrika. Weißhaarige, sonnengegerbte Männer in mausgrauen Anzügen, dazwischen Frauen in Faltenröcken und mit Picknick-Körben. Die rechtsextreme Konservative Partei (CP) einschließlich ihres Chefs Ferdi Hartzenberg gibt einen ihrer raren öffentlichen Auftritte im neuen, demokratischen Südafrika.

Das sitzt vorne rechts auf der anderen Seite des Ganges: die Familie von Chris Hani und mehrere hochrangige ANC-Frauen, darunter Winnie Mandela, elegant und teuer gekleidet. Statt Picknick- Körben haben sie Handys bei sich. Nichts verbindet sie mit den alten Männern – außer einem Mord.

Der Mord an Chris Hani, dem Vorsitzenden der Südafrikanischen Kommunistischen Partei und Chef der Untergrundarmee des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) von Nelson Mandela, erschütterte Südafrika Ostern 1993. Janusz Walus, ein Einwanderer aus Polen, ging auf „Nummer sicher“, wie er später der Polizei sagte, und schoß Hani vor dessen Haus in Johannesburg zuerst in den Magen, dann dreimal in den Kopf.

Die Tat wurde im „Namen Gottes und der Christenheit“ verübt, um den „Antichristen“ zu treffen. Das erklärt sein Komplize Clive Derby-Lewis heute, mehr als vier Jahre später, vor dem Amnestie- Ausschuß der sogenannten Wahrheitskommission. Mit dem Mord sollte das Land ins Chaos gestürzt werden – was beinahe gelang. Hani war das Idol der Township-Jugend und hatte das Zeug, Nachfolger von Nelson Mandela zu werden. Über 50 Menschen kamen in den folgenden Wochen gewaltsam ums Leben. Das Kap der Guten Hoffnung stand in Flammen.

Es grenzte an ein Wunder, daß die Verhandlungen zwischen der Befreiungsbewegung ANC und den weißen Machthabern dennoch weitergingen. Für Clive Derby-Lewis, prominentes Mitglied der rechtsextremen Konservativen Partei (CP), waren sie Verrat. Der weiße Parlamentsabgeordnete fühlte sich von Frederik Willem de Klerk um die Zukunft seines Volkes und dessen „Selbstbestimmung“ betrogen – dabei gehört er nicht einmal den Buren an. Mit Walus hatte er wenig gemein außer einer rechten Gesinnung. Die reichte, um die Tat auszuhecken.

Walus wurde nur eine halbe Stunde nach dem Mord verhaftet. Einen Tag später saß auch Derby- Lewis, der ihn mit der Tatwaffe versorgt hatte, im Gefängnis. Während des Verfahrens schwiegen beide. Die ursprünglich verhängte Todesstrafe wurde später in lebenslange Haft umgewandelt.

Nur wenn beide jetzt ein volles Geständnis ablegen, haben sie eine Chance, freizukommen. Die Entscheidung darüber liegt allein beim Amnestie-Ausschuß der Wahrheitskommission. Hat Derby-Lewis bisher die Wahrheit gesagt? Der Anwalt der Familie Hani, George Bizos, verwickelt ihn nach zehnminütigem Kreuzverhör in zahlreiche Widersprüche. „Wahr“ scheint nach zwei Wochen Anhörung nur eines: daß der Mord gezielt und kaltblütig geplant war.

Zudem müssen die Täter nachweisen, daß der Mord politisch motiviert war und im Auftrag einer bekannten politischen Gruppierung verübt wurde. Deren Arbeitsteilung zumindest wird klar: Derby-Lewis war der Kopf des Attentats, Walus führte es aus. Zum ersten Mal sagt der heute 44jährige Exil-Pole in dieser Woche öffentlich über das Verbrechen aus. Angst, erneut unter einem kommunistischen Regime leben zu müssen, trieb ihn schon bald nach seiner Ankunft in Südafrika ins rechtsextreme Lager. Daß die Nationale Partei, damals noch unter Pieter Willem Botha, auf dem falschen Weg war, stand für den gelernten Glasbläser schon 1983 fest.

Derby-Lewis traf er auf einer Veranstaltung von Rechten, die der rechtsextreme britische Historiker David Irving in Pretoria organisiert hatte. Seither war er regelmäßiger Gast bei Derby-Lewis, trat zudem in die „Afrikaner Widerstandsbewegung“ von Eugene Terre'Blanche ein.

Während sich Walus knapp äußert, redet Derby-Lewis stundenlang über seinen politischen Hintergrund und scheut nicht davor zurück, das Wort „Befreiungskampf“ für sich zu beanspruchen. Der legitimiere alles, glaubt er bis heute – sogar, ein Treffen mit Hanis Witwe zu fordern.

Mit der Anhörung der Hani- Mörder sind für viele Südafrikaner die Grenzen der Versöhnung überschritten. Jeden Tag protestieren lautstark Hani-Anhänger im Rathaus von Pretoria gegen die Amnestie für Derby-Lewis und Walus. Für die alten Männer vorne links ist das nur eine Bestätigung ihrer Weltsicht. „Das ist ein Affenstall“, schimpft einer. „Dieses Land ist vollkommen verrottet.“