Das personifizierte Frühwarnsystem

Ein Ökopax aus Freiburg schreibt eine Biographie über den Daimler-Chef Jürgen Schrempp – und darf sich bei der Materialrecherche der gelassenen Hilfe des mächtigen Konzernbosses sicher sein  ■ Von Josef-Otto Freudenreich

Jürgen Grässlin hat bisher kein gutes Haar an Deutschlands größtem Konzern gelassen. Als „Händler des Todes“ hat er Daimler- Benz gegeißelt, als „Rüstungsriese der Republik“, von dem noch jeder Diktator dieser Welt Waffen erhalten habe. Und damit die Herren des Vorstands nicht behaupten können, sie hätten von nichts gewußt, hält der 40jährige Freiburger bei den Hauptversammlungen schon mal das Plakat „Entrüstet Daimler“ hoch.

Grässlin ist ein bunter Hund in der Szene der Ökopaxe. Der Lehrer für Deutsch und Erdkunde an der Realschule in Ettenheim und einstige Grünen-Landesvorständler ist Sprecher des Dachverbands Kritischer Aktionäre sowie Gründer des Rüstungsinformationsbüros Baden-Württemberg. Wenn Volker Rühe seine Phantoms in die Türkei schickt, stört der pazifistische Pauker mit Heißluftballons; und wenn er die Oberndorfer Waffenschmiede Heckler & Koch vor den Kadi zerrt, demonstriert er mit Frau, Kindern und einem Transparent, auf dem in schwarzrotgoldenen Buchstaben steht: „Den Tod bringen Waffen aus Deutschland.“

Dieser Grässlin schreibt nun wieder ein Buch – über Jürgen Schrempp. Das allein wäre noch keine Überraschung, weil er bereits eines über Daimler-Benz („Der Konzern und seine Republik“) veröffentlicht hat. Das Erstaunliche ist, daß der Daimler- Chef bei diesem Projekt mitspielt. Seit drei Jahren trifft er sich mit dem Feind. Mal in Freiburg, wo er sich von Grässlin zum Essen einladen läßt, mal in Möhringen, wo er sich mit der Küche des hauseigenen Casinos revanchiert. Mal schickt Schrempp seinen Sprecher Christoph Walter aus, damit er einen Wein mit dem Badener trinke, mal unterstützt er eine Reise nach Südafrika, auf daß sich dort der Friedenskämpfer davon überzeugen kann, daß der Vorstandschef Schrempp immer schon gegen die Apartheid war.

Am 26. August fährt Grässlin los, erwartet von zwölf hochrangigen Gesprächspartnern, die ihm der Konzern ermittelt hat. Selbst Nelson Mandela könnte darunter sein. Nur die Reisekosten trägt er selbst, das war ihm wichtig wegen der Unabhängigkeit.

Wie kommt's zu diesem wundersamen Schulterschluß? Wer umarmt hier eigentlich wen? Zunächst, erläutert Grässlin, fühle er sich dem Subjekt seiner Beschreibung „auf der menschlichen Ebene sehr verwandt“. Schrempp ist Freiburger wie er, ein Workaholic und zu „prägnanten Entscheidungen“ fähig. Wie er. Aha. Und? Schrempp, sagt er, sei unkonventionell, zu Tabubrüchen bereit. Wie er. In gewisser Weise auch ein Abenteurer und in der Lage, „über den eigenen Laden hinauszudenken“. Wer mit Kasparow Schach spiele und mit Messner Berge besteige, der rede eben auch mit ihm. Das sei's, was ihn an dem „schillerndsten und härtesten Manager der Republik“ fasziniere. Da mag der Beißtrieb schon schwächer ausfallen. Aber keine Bange, beruhigt der Autor, es drohe keine „Jubelbiographie“, sondern ein Profil über den Menschen und Manager und seine Perspektiven. Antworten wollen sie zusammen suchen auf Schlüsselthemen der Zeit, wobei wohl noch manches Treffen nötig sein wird, bevor das Buch im April 1998 im Handel ist, denn die Standpunkte scheinen noch etwas auseinander zu liegen. Rein inhaltlich, betont Grässlin, seien sie sich „nicht nähergekommen“ trotz „großer gemeinsamer Schnittmengen“ auf der persönlichen Ebene.

Aber der Pädagoge ist lernwillig, will mit dem 52jährigen „über Gräben springen“, um in den Grundsatzfragen von Rüstung und Konversion, Ökonomie und Ökologie voranzukommen. „Laßt Blumen blühn, nicht Beton“, metaphert der PR-erfahrene Widerstandsmann, wobei er weiß, daß ihm diese Grenzüberschreitung etliche Freunde kosten wird.

Im Unternehmen haben sie sich auch so ihre Gedanken gemacht über die brisante Liaison. Christoph Walter sagt, sein Vorgesetzter finde Grässlin „persönlich sympathisch“, und deshalb werde er den ungewöhnlichen Porträtisten „gut versorgen“. Das freilich heiße nicht, daß man ihm eine Vorzugsbehandlung angedeihen lasse. Was er nicht sagt, ist, daß das denkwürdige Unterfangen im Konzern mißtrauisch beäugt wird. Es ist ja nicht so, daß die Möhringer Manager nun plötzlich dazu bekehrt wurden, ihren Kritikern den roten Teppich auszurollen. Undenkbar, daß etwa Werner Niefer einem Autogegner als Biographen zugearbeitet hätte. Kaum einer weiß das besser als Detmar Grosse-Leege, der einflußreiche Berater von Schrempp. „Mit solchen Typen zu reden“, meint der Intimus des Konzernherrn, „das paßte nicht in ihre Welt.“

Dieser Grosse-Leege ist's, von dem man annehmen darf, daß er Schrempp auf dieser Schiene befördert hat. Der Ingolstädter Kommunikationsprofi hat die harte Zeit im Golfkrieg erlebt, in der die Deutsche Aerospace (Dasa) und ihr Chef Schrempp massiv von der Friedensbewegung gedeckelt worden sind. Was tat Grosse-Leege? Er holte sie sich ins Haus: Walter Jens, Jürgen Habermas, die Martin-Niemöller-Stiftung, die Bischofskonferenz – und alle debattierten mit „Rambo“ Schrempp, der zuhörte und zugleich erklärte, er werde am „Kerngeschäft“ der Dasa, sprich der Rüstungselektronik, festhalten. „Ausgerechnet mit penetranten Pazifisten“, so der Spiegel, „die keine Hauptversammlung auslassen, um das Geschäft der Dasa als menschenverachtend anzuprangern, setzte er sich stundenlang auseinander.“

Eine „coole Socke“ sei er halt, der Schrempp, sagt Grosse-Leege, aber auch der einzige im Unternehmen, der sich auf solchen Streit einlasse. Gilt die neue Liberalität nun auch für Daimler? Ist gar ein politischer Wandel in Sicht? I wo, verneint Grosse-Leege, der Schrempp sei überhaupt nicht liberal, nur klar und eindeutig, eben kein opportunistischer Politiker, der erkläre, die Renten seien sicher. Könnte es denn sein, daß er den prominenten Rüstungsgegner Grässlin einfach einbinden will? Nö, glaubt Grosse-Leege.

Der Gedanke hinter dem Unterfangen ist viel raffinierter: Jener unheimliche Freund aus Freiburg ist ja nicht nur ein Demonstrant, sondern auch ein harter Arbeiter und ein kluger Kopf, dem der Ruf vorauseilt, am besten zu wissen, was Daimlers Gegner denkt. Jener Grässlin verfügt über ein Archiv, das zu den besten im Lande gehört. Er reist als gefragter Redner von Veranstaltung zu Veranstaltung und ist, so gesehen, das personifizierte Frühwarnsystem für einen Konzern, der diese Szene bisher mit Grausen beobachtet hat.

Warum also einbinden im Sinne von umarmen? „Reine Vernunft“ sei es gewesen, erklärt Grosse- Leege, mit „dem Jungen“ zu kooperieren. Vorher hätten sie doch „null Erfahrung“ auf diesem verminten Gelände gehabt, aber jetzt sei Daimler „auch bei diesem Thema Spitze“.