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Zwei Hormone – eine Meinung

■ Mit der Lesung „Beule“hat sich Carl-Heinz Otto Schäfer um die Sexualaufklärung in Bremen verdient gemacht

Ohne Pheromone läuft nix, aber auch gar nix. Dessen ist man sich in der Regel gar nicht bewußt, wenn man die ersten zarten Bande einer Zweierbeziehung knüpft. Sexuallockstoffe treffen sich zum tête a tête und machen alles klar, lange bevor das erste „Gehen wir zu Dir oder zu mir?“über vibrierende Lippen huscht. Deshalb ist es ungemein verdienstvoll, daß es Menschen gibt, die uns das erzählen und in dicke Bücher mit anregenden Titeln wie ,Vom Körper des Menschen. Ein anatomisches Lehrbuch' schreiben.

Sowas gehört verbreitet. Dachte sich auch Carl-Heinz Otto Schäfer. Und veranstaltete prompt im Rahmen der von ihm konzipierten Ausstellung „Erotic Art – die Letzte“(wir lobten sie sehr, s. taz vom 16./17. 8) eine Lesung namens „Beule“, die aus dem reichen Fundus an Literatur schöpfte über das, was passiert, wenn's passiert, und wie man es, gaaaanz wichtig, richtig macht.

Das Kapitel 'Sinnesreize' des besagten Buches lehrt uns, daß „die Riechfunktion vom Dampfdruck des geruchsabsondernden Objekts abhängt“. Ahnte man schon länger, spätestens seit der eigenhändigen morgendlichen Betätigung der Klospülung. Aber daß die Liebe, große Gefühle, Claudia Schiffer und David Copperfield, Obelix und Idefix u.a. wegen des wechselseitigen Dampfdrucks zueinander fanden – enttäuschend, irgendwie.

Nach einigen qualvoll dümmlichen Liedtexten aus der „Arschgeige“(eine Persiflage des berüchtigten Kinderfolterinstruments „Mundorgel“), in der Reime a la „Der schönste Fick ist der Pazifik“die Ohrmuschel malträtierten, kam Schäfer zum anbetungswürdigsten Buch des Abends: Patricia E. Raleys „Making Love“.

Ein dicker Wälzer aus den 70er Jahren, nachdem Kolle schon alles gezeigt hatte und die Welt wissen wollte, warum es trotzdem nicht klappt. Wie maked man also Love? Raleys Sexratgeber nudelt genau eine These durch alle Lebensbereiche: Alles ist Sex! Ob der Bäcker in der Brötchentüte fummelt oder die Metzgerin nach der Cervelatwurst langt – die Erotik lauert überall, wenn man's nur zu deuten vermag. Sauanstrengend, so ein Leben. Permanent durchflutet von tückischen Hormonen aller Art, die den harmlosen Griff zur Warzenmelone in eine sexuelle Herausforderung verwandelt und das Blumengießen zum orgiastischen Happening erklärt, weil es einen laut Raley danach drängt, die Finger in die klamme Blumenerde zu stecken. Nichts bleibt unbehandelt. Wie kommt das Sperma wieder raus aus Omas handgearbeiteter Steppdecke, wie sage ich's dem Partner, daß er mir beim Orgasmus nicht ständig den Zitgarettenrauch ins Gesicht blasen soll, und was tut sie, wenn ihr gerade nach multiplen Orgasmen ist und er schon nach dem ersten den Piephahn einrollt? Raley weiß es, und sie weiß auch, daß der Weg zur Erfüllung letztendlich einem drögen Motto unterliegt: Üben, üben üben. 10 Minuten am Tag das Ohr des Partners kneten, eine halbe Stunde die Zehen massieren, danach eine zeitlang die Nase streicheln. Am Ende ist man den anderen leid, weil zwischen Ohrenschmalz, Fußschweiß und Popeln jede Lust zerrieben wird. Ja, so naiv waren die Siebziger. Gut, daß Schäfer uns das vorgelesen hat. zott

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