Zeichen des Machbaren

■ "Solararchitektur in Europa": Ein Buch und ein Video zeigen die Anfänge dessen, was möglich und was nötig ist. "Solares Bauen ist nicht teurer als konventionelles"

„Die Berliner Nationalgalerie ist Baukunst von gestern.“ Die Kamera fährt an Aggregaten und Kühlmaschinen vorbei, an schier endlosen Rohrgetümen, durch Hallen, die winters wie sommers klimatisiert sein wollen. „Sie verschleudert Energie“, verbrauche davon soviel wie eine Kleinstadt, sei „Ausdruck von Zerstörung und Verschmutzung der Umwelt“. Die Jünger Mies van der Rohes haben hier das Band – kaum begonnen – längst abgeschaltet. Welch ein Frevel, den großen Baumeister per Stimme aus dem Off auf seine energietechnischen Untaten zu reduzieren. „In den letzten vierzig Jahren“, sagt irgendwann ein anderer, „sind die Grundlagen modernen Bauens entstanden, die die Klimatisierung der Gebäude der Technik überläßt; künstliche Beleuchtung, zirkulierende Luft“.

Das Video „Solararchitektur für Europa“ zeigt, wie es anders geht, daß es Architekten gibt, die ihr Wissen nicht in die Konstruktion von Massengräbern verpulvern, sondern darüber nachdenken, wie man heutzutage nicht mehr bauen sollte. Die machen, was möglich und nötig ist: raumumfaßte Gegenwart wie das Design-Center im österreichischen Linz beispielsweise, lichtdurchflutetes Gebäude, dem Wind und Sonne helfen, es zu klimatisieren. Lichtlenkraster verhindern die direkte Sonneneinstrahlung, lassen aber das Tageslicht passieren.

Ins Bild kommen das Solarhaus in Freiburg, sich computergesteuert mit dem Licht des Tages drehend; eine Siedlung mit 16.000 Einwohnern in Holland, in der seit den achtziger Jahren auf Sonne statt auf Kohle gebaut wird: „Gezwungen wurde dazu niemand, allein die Einsicht war zwingend, daß solares Bauen nicht teurer ist als konventionelles“, sagt dazu der Stadtrat für Stadtentwicklung – und dann einen der Kernsätze des Films: „Und es braucht einen Stadtplaner, der daran glaubt.“ Auch ein, nach Auskunft des Herstellers, serienreifes Einfamilienhaus ist zu sehen: nach Norden geschlossen, nach Süden offen, Solarzellen liefern zwei Drittel des Stroms, Sonnenkollektoren heizen das Wasser. Kosten für 150 Quadratmeter Nutzfläche: rund 487.000 Mark.

Was folgt, ist eine muntere Europareise: Selbstbaugruppen in Österreich; das größte Kollektorfeld – 7.000 Quadratmeter, 600 Sonnenkollektoren – in Schweden, mit dem 12 Prozent des Bedarfs an warmem Wasser der Kleinstadt Nykvarn gedeckt werden. Dahinter müssen sich wesentlich sonnigere Städte wohl verstecken. Wiederum Schweden: Ein Speicher für 100.000 Kubikmeter warmes Wassers tief im Bauch der Erde, sowie das „Solare Dorf“ der Scandinavian Airlines, bezogen schon Ende 1987. „Die Architekten müssen wieder mehr über physikalische Grundlagen der Umwelt lernen“, kommt einer der neuen Baumeister zu Wort.

Was das Video bebildert, setzt das gleichnamige Buch in Text um und fort, nennt Potentiale, beschreibt Technik und zeigt Perspektiven. Reichhaltig – auch grafisch – illustriert, gibt es eine Einführung in die Möglichkeiten, umbaute Natur energetisch wertvoll zu nutzen. „Solararchitektur unterstützt die Autonomie des einzelnen“, schreibt Eurosolar- Präsident Hermann Scheer im Vorwort, mache ihn unabhängig von der Versorgung durch andere. „Solartechnologie wird das Verhalten der Menschen ändern“, prognostiziert er – aber nur, wenn sie es wollen, wäre hier zu ergänzen.

In diese Kerbe haut der Klassiker der High-Tech-Solararchitektur, Sir Norman Foster: „Die Concorde fliegt über unsere Köpfe“, sagt er in einem Interview. „Wenn nicht irgend jemand das Ziel gesetzt hätte, von einem Ort zu einem anderen in der halben Zeit zu gelangen, wäre das nie passiert.“

Fazit: Klimakillende Monsterbauten kennt jeder. Daß es Alternativen gibt, ahnt man zwar, allein es fehlen oft die funktionierenden Beispiele. Das Video beeindruckt, das Buch vertieft. Anschaulich präsentieren beide das Material für eine machbare Architektur. Gut ist die Gestaltung des Buches nebst Anhang und Stichwortverzeichnis. Es hätte allerdings etwas mehr Mut zum Redigieren vertragen. Sprachlich bleiben viele Fachleute zwar gern unter sich – das mag das Ego streicheln, könnte aber den bei diesem Thema notwendigen Massensog erschweren. Denn, so Norman Foster: „Solar architecture ist not about fashion – it is about survival.“ Andreas Lohse

Fechner, Angerer, Schneider: „Solararchitektur für Europa“. Video, 43 Minuten, 58,99 DM

Astrid Schneider (Hg.): „Solararchitektur für Europa“. 200 Seiten, 58 DM, beide Birkhäuser Verlag