Unterm Strich

Endlich ist sie da: die Reform des Beerdigungswesens. Der elsässische Künstler Raymond Waydelich begann am Donnerstag auf dem Gelände eines ehemaligen Friedhofs in Kassel mit den Arbeiten an einer „Gruft für die Zukunft“. Vorbei also die Zeiten, in denen Gräber immer etwas mit Vergangenheit und Verfall zu tun haben mußten. Für 100 Mark können Interessenten eine 30 Zentimeter lange „Memoria“-Röhre erwerben und mit persönlichen Botschaften an die Zukunft versehen. Im Jahr 3790 soll die Gruft wieder geöffnet werden. Tag und Urzeit werden noch rechtzeitig bekanntgegeben.

Am 14. September sollen die Kapseln mit den Botschaften von insgesamt 3.790 Menschen nach einer feierlichen Prozession quer durch die Kasseler Innenstadt in einem Betonsarkophag in die Erde versenkt werden. Wer in der fernen Zukunft für die Öffnung zuständig ist, steht jedoch in den Sternen. Der 59jährige Waydelich, der 1978 auch auf der Biennale in Venedig vertreten war, hat bereits mehrfach Grabstätten für die Zukunft geschaffen. 1999 will der anerkannte Experte für Zukunftsarchäologie eine weitere „Memoria“-Gruft in Paris errichten.

Um Geschichte, und zwar die jüngste deutsche, geht es dagegen bei den 47. Berliner Festwochen. Rund 200 Veranstaltungen beschäftigen sich zwischen dem 6. und 30. September mit dem Thema „Deutschlandbilder – Kunst in einem geteilten Land“. Das Nacherzählen deutsch-deutscher Geschichte in der Zeit des Umbruchs sei besonders notwendig, begründete Festspielintendant Ulrich Eckhardt die Konzeption. Das Festival bezieht alle künstlerischen Bereiche ein. Mit 70 Konzerten ist die zeitgenössische Musik besonders stark vertreten. Zu den rund 120 ausgewählten Werken von 64 Komponisten gehören 11 Uraufführungen und 15 Auftragsproduktionen. Mit Spannung wird die Uraufführung von Hans Werner Henzes 9. Sinfonie erwartet. Das abendfüllende Werk entstand nach Texten des Romans „Das siebte Kreuz“ von Anna Seghers.

Das Theaterprogramm bietet unter anderem Stücke von Heiner Müller, Bertolt Brecht, Peter Handke und Christa Wolf. Das ehemalige DDR-Staatsratsgebäude wird zum Spielort bei der Premiere von Samuel Becketts „Atem“. Erstmals stellt sich die neugegründete Zeitgenössische Oper Berlin mit zwei Inszenierungen vor: „Der Idiot“ von Henze nach einer Dichtung von Ingeborg Bachmann und „Der mündliche Verrat“ von Mauricio Kagel. Die zentrale Schau „Deutschlandbilder“ im Martin-Gropius-Bau dokumentiert die Kunstentwicklung in beiden deutschen Staaten. In der deutsch-deutschen Reihe „Die einen über die anderen“ sprechen in der Schaubühne Günter de Bruyn über Heinrich Böll, Max von der Grün über Erwin Strittmatter und Stefan Heym über Johannes Mario Simmel.