Bon Chauvis

Nur in England denkbar: Oasis machen eine neue Platte – und die ganze Nation steht Kopf. Die proletarische Seifenoper geht weiter  ■ Von Heike Blümner

Wie konnte das nur passieren? Fünf Recken aus Manchester walzen mit ihrer Band alle Konkurrenten platt, räumen ab mit sämtlichen Verkaufsrekorden und auf mit der Vorstellung, daß gigantomanische Superbands der neunziger die letzten überlebenden Rocksaurier der achtziger Jahre sind.

Die Vorgehensweise ist denkbar simpel. Ein Intensivappell an das kollektive britische Popgedächtnis: Beatles, Stones, The Who und U2, Fußball und Boulevardpresse, Working Class und Parka, Bier und Ecstasy, kaum Sex, dafür dicke Männerfreundschaft. Das reicht. Wenn sie wenigstens gut aussehen würden, aber selbst Topvisagisten und Fotografen des Lifestyle-Magazins The Face können stundenlang an ihnen rumzuppeln – am Ende sehen die Lads immer noch so aus, wie sie heißen: Bonehead, Whitey, Guigsy plus zweimal Gallagher – kurz: Oasis.

Zwei Alben lang, „Definitely Maybe“ und „What's The Story (Morning Glory)“, hat es gedauert, dann war im Land von New Labour Noel Gallagher – Songwriter und Gitarrist von Oasis – durch eine überwältigende Kaufabstimmung und per Mehrheits- und Konsensentscheid von Mami, Papi, den Kindern und dem lieben Vieh zum Prime Minister of Pop gewählt worden. Mehr noch, gerne zeigt er sich Saite an Saite mit Britains Frontman Tony Blair: One nation under a groove – Tony Blair berichtet, daß während des Wahlkampfes in seinem Wagen meistens Oasis lief. Als moralische Stütze und Stimme der Leute da draußen. Neulich war Gallagher zum Dank zur Party geladen in No.10 Downing Street. Wie man hört, soll er sich ausnahmsweise benommen haben.

„Be Here Now“ (Sony), das Album zur dritten Legislaturperiode von Oasis, ist siegessicher gleich von vornherein auf Stadionsound angelegt. Verschwunden sind die hübschen Melodien à la „Live Forever“, „Wonderwall“ oder „Don't Look Back in Anger“. Von den pubrockin' zu den cockrockin' Beats ist es nicht weit, manchmal nur ein Bier, aber bei allem guten Willen, das ist dann eben eins zuviel.

Und dann ist das Dilemma groß: Breitwandkrach ohne Noise-Appeal. Plötzlich ist aus dem Song alter Schule mit Intro, Strophe, Refrain und Schluß ein niemals endendes, entfesseltes, siebenminütiges Gerocke geworden, dessen Begrenzung höchstens in Ost- und Westküsten-Dimensionen denkbar ist. Was davon halten, wenn Johnny Depp als Gastmusiker Slide-Gitarre spielt? Was sagen, wenn in diesen Songs auch noch aus rauher Kehle „Helter Skelter“ gegrölt wird? Ist Britpop in dieser Saison passé oder gar eine Wildlederjacke mit Fransen?

Nichts von allem. Her critical Highness, der britische New Musical Express, ringt sich zu folgender Entscheidung durch: Scheiße, aber saugut! „Be Here Now“ sei eine der „dümmsten Platten, die jemals gemacht wurden“, ein „weißer als weißes Jungsterritorium, eine funkfreie Zone, ein stumpf-psychedelisches Festival von Old- school-Empfindsamkeiten mit einem weiteren wogenden Sack voller ebenso tauber wie unverfrorener Beatles-Anspielungen“.

Aber „Be Here Now“ mache auch „kolossalen Spaß“ und führe dazu, „daß jedes einzelne Haar auf deinem Arm senkrecht in die Höhe steht“. Und da nicht sein kann, was nicht sein darf, wird Oasis' unüberhörbare, röhrende Auffahrt auf die Weiten amerikanischer Highways als „Parodie ... von Bon Jovis New-Jersey-Ära“ interpretiert. Im schlimmsten Fall ist also alles nur Humor, und da ist der britische ja bekanntlich auch der beste.

Mit beleidigter Musikkritik, wie sie hierzulande gerne gepflegt wird, so nach dem Motto „Alles nur geklaut“, kann man Oasis wirklich nicht in die Tonne treten. Erstens ist es dumm zu behaupten, daß, nur weil etwas nicht neu ist, es auch nicht gut sein kann; und zweitens hat sich speziell aus der Vita der Brüder Liam und Noel Gallagher sowie den Geschichten rund um die Band längst eine eigenständige Rock-Soap-opera entwickelt, die man selbst dann noch mit Spaß verfolgen würde, wenn die Musik niemand mehr hören wollte. Der Band gefällt das: Nix gebrochene Identitäten, sondern Rock 'n' Roll- Star volle Kanne zum Abfahren, Alter! Nachzulesen im gerade erschienenen Buch von Paolo Hewitt, der Biographie zum Oasis- Soundtrack. Titel: „Oasis“, Untertitel: – Kunstpause – „Die Arroganz der Gosse“.

Auf mehr als 400 Seiten klingt das stilistisch ungefähr so: „Heute gibt es keine Arbeit. Heute wird Peggy [Mutter Gallagher; A.d.R.] am kleinen Bach sitzen [...] und ihr Spiegelbild im Wasser anschauen. Sie trägt ein schmuddeliges Baumwollkleid und ist barfuß. Sie hat muschelfarbene Augen und dunkelbraunes Haar. Der Himmel über ihr ist azurblau, und die Sonne hängt darin wie eine gelbe Billardkugel.“

Inhaltlich geht es um folgendes: Manchester ist seit über hundert Jahren die Stadt, gegen die das Ruhrgebiet locker als Feriendorf durchgeht. Selbst Friedrich Engels konnte es bei einem Besuch dort kaum fassen, weiß Hewitt, wie proletarisch es auf der Welt tatsächlich zugehen kann.

In dieser Stadt wachsen die drei Söhne Gallagher heran. Der Vater arbeitsloser Trinker, Spieler und Schläger, die Mutter Putzfrau, die Söhne Schulabbrecher, mit elf Jahren Klebstoffschnüffler, Kleinkriminelle, aber Musikliebhaber. Neben den Beatles und The Smiths ist es vor allem „eine Gemeinschaft von Männern aus der Arbeiterklasse, die einstimmig sang“, die Klein Noel unauslöschlich prägt.

Doch Ende der Achtziger wird aus Manchester Madchester, und die Gallaghers raven im Umfeld der Happy Monday durch die Partyszene. Natürlich sind sie auch die meiste Zeit arbeitslos und vertreiben sich die Zeit vor allem mit diffusestem Drogenkonsum, angeblich bis heute.

„Kater“ ist das am häufigsten verwendete Wort dieses Buches. Die Karriere von Oasis beginnt demzufolge etwas stockend: „Du mußt mal diesen Song hören, den wir gemacht haben, der ist so geil, das Problem ist bloß, du kannst ihn nicht hören, weil wir ihn leider überspielt haben, als wir stoned waren.“

So soll es nach den Erinnerungen von Noel Gallagher anfangs gewesen sein. Doch ein „typischer Mancunian“, also ein echter Junge aus Manchester, muß ja quasi genetisch bedingt irgendwann zum Musikarbeiter werden. Proben, proben, proben, touren, touren, touren, und irgendwann ist es dann soweit: Millionen von Fans, Millionen von Pfund, viele Frauen, ganz viele Drogen, was will man mehr? Wenn es nach Oasis geht, ruhig noch mehr von allem, vielleicht jedem Fan mal persönlich die Hand schütteln: „Thanks, mate, we appreciate it!“

Spulen wir noch einmal zum Anfang zurück: Wie konnte das alles passieren? Spinnen die, die Briten? Understanding Oasis wird jedenfalls nicht leichter, wenn man in einem Land lebt, in dem alle „ernstzunehmenden“ Rockbands und Popjournalisten mindestens Abitur haben. Das genau haben die Gallaghers & Co. nicht, und in einer Welt, in der „intelligente“ Bands mit „intelligenten“ Texten Musik für Studenten machen, ist das schon wieder ein honorables Angebot.

Oasis sind stumpfe, chauvinistische Jungsrocker voller herzerweichendem Größenwahn, die ein paar der schönsten Popsongs der letzten Jahre geschrieben haben, deren neue Platte allerdings voll danebengeht. Deshalb sind Oasis weder gut noch schlecht. Nicht: Scheiße, aber saugut. Sondern: Cool, aber fies!