■ Ökolumne
: Ökologische Selbstblockade Von Hermann Scheer

Falsche Gegensätze konstruieren ist ein auch unter Ökologen verbreitetes Spiel – wie zum Beispiel das Ausspielen der erneuerbaren Energien gegen Energieeffizienzsteigerungen, weil letzteres pro eingesetzter Investitionssumme mehr CO2-Entlastung bringe. Manche empfehlen sogar, zunächst einmal alles Geld auf Energieeffiziensteigerung zu konzentrieren, um erst nach Ausschöpfung der Potentiale zur Effizienzsteigerung erneuerbare Energien einzusetzen. Schon längst hat sich die Energiewirtschaft bei ihrem Lieblingssport, erneuerbare Energien als unwirtschaftlich und deshalb untragbar totzureden, dieser Argumente der „Effizienzschule“ bemächtigt.

Doch diese pauschalen Vergleichsrechnungen sind in mehrfacher Hinsicht abwegig. Erstens ist die gegenwärtige Energietragödie der Menschheit weit mehr als ein CO2-Problem. Die sozialen Schäden durch den fossilen Energieeinsatz sind so groß, daß wir diesen selbst dann durch erneuerbare Energien ablösen müßten, wenn es kein CO2-Problem gäbe.

Zweitens stimmt es ökonomisch nicht, daß Sonnenenergienutzung in jedem Fall teurer sei als Energieeffizienzsteigerung. Die sogenannte passive Solarenergienutzung ist im Regelfall die billigste Möglichkeit der Einsparung konventioneller Energie. Off-shore- Windkraftanlagen produzieren Strom schon billiger als Kohle- und Atomkraftwerke, und selbst die Photovoltaik als gegenwärtig noch teuerste Solartechnologie ist schon jetzt fast überall dort billiger, wo sich dadurch Netzinvestitionen sparen lassen. Und die Kosten und Energiegewinne einer Solarfassade beispielsweise müssen gegengerechnet werden gegen die einer herkömmlichen Hausfassade, die nur Kosten produziert.

Drittens: Wer vor der Mobilisierung erneuerbarer Energien „erst einmal“ alle Effizienzsteigerungspotentiale ausschöpfen will, hat ein naives Verständnis von technologischer Entwicklungsdynamik. Würden wir in Deutschland zunächst die Solartechnologie kaltstellen und alle Karten auf die Effizienzsteigerung setzen, stünden wir demnächst industriell mit leeren Händen da. Weder die japanischen noch die US-Solartechnikproduzenten warten darauf, bis in Deutschland das Energiesystem effizienzoptimiert ist. Selbstverständlich ist, daß jeweils die Markteinführung vorzugsweise auf die Anwendungsbereiche konzentriert werden sollte, die wirtschaftlich sinnvoller sind.

Hinzu kommt, daß es gar nicht möglich ist, die Initiative eines Investors für erneuerbare Energien in einem konkreten Versorgungsbereich gegen eine Effizienzinvestition in einem anderen Bereich abzuwägen. Theoretisch kann man endlose Rechnungen aufstellen, ob mit dem Geld für eine Windkraftanlage mehr Umweltentlastung als etwa durch Wärmedämmung erreicht werden könnte. Praktisch bedeutet aber der Verzicht auf die Windkraftanlage keineswegs, daß das hier nicht investierte Geld statt dessen für Wärmedämmung investiert wird. Wenn ich mich zum Beispiel für die Entwicklung eines Flugzeugs mit solarem Wasserstoffantrieb als Alternative zum Eurofighter eingesetzt habe, läßt sich auch dies nicht gegenrechnen gegen den Ausbau von Blockheizkraftwerken. Wer nicht das Argument um die Ohren geschlagen bekommen will, ein Nein zum Eurofighter gefährde die Luftfahrtindustrie, muß die ökologische Alternative in diesem konkreten Fall in der Luftfahrtindustrie selbst suchen.

Die Abwägung, ob aktuell in erneuerbare Energien oder Energieeffizienz investiert wird, ein Investor nur bezogen auf den jeweiligen konkreten Energiezweck treffen. Eine generelle Abwägung quer über alle Felder der Energienutzung ist sachlich unmöglich und unterschätzt im übrigen grob die Gefahren des expandierenden atomar/fossilen Energiesystems. Wenn dieses Krebsgeschwür der Menschheit herausoperiert werden soll, muß es zugleich eine Effizienz- und Solarrevolution geben. Selbst bei einer Halbierung des Energieverbrauchs durch Effizienz würde es in 25 Jahren eine Umweltzerstörung wie heute geben, da sich bis dahin der Bedarf an Energieträgern verdoppelt. An dem gleichzeitigen Versuch, durch die Solarrevolution die atomaren und fossilen Energiequellen abzulösen, geht kein aktueller Weg vorbei.