„Versucht anders zu sein, als wir's war'n“

Mit einem ökumenischen Gottesdienst wurden gestern am Ettersberger KZ-Mahnmal in Buchenwald die Urnen namenloser NS-KZ-Opfer bestattet: Versöhnliche Reden nach dumpfen Glockenschlägen  ■ Von Heide Platen

Weit um Buchenwald herum liegt der Tod auch heute noch in den Wäldern: „Lebensgefährlich! Ehemaliges Militärgelände!“ Da war der Bahnhof des Konzentrationslager. Dort sind die Ringgräber. Unterhalb des Mahnmals auf dem Ettersberg liegen viele der rund 50.000 Toten vergraben, die hier von 1937 bis 1945 von der SS umgebracht wurden: Juden, Roma, Kommunisten und Kriegsgefangene.

Sie sind als ausgemergelte Leichen in die Massengräber geworfen oder verbrannt und in Haufen von Asche und Knochen hineingeschüttet worden. Ihre Namen waren vergessen, verschollen. Sie konnten ihnen erst in den neunziger Jahren wiedergegeben werden. Gefunden wurden sie in einem Warschauer Archiv. Ein polnischer Häftling hatte die Liegeplätze der Toten vom Ettersberg in seiner Kladde akribisch handschriftlich festgehalten. Im vergangenen Jahr wurde der Friedhof anhand dieser Unterlagen neu gestaltet.

Gestern mittag kamen zu den dort bestatteten Ermordeten des Naziregimes, zu denen, die 1945 nach der Befreiung von Buchenwald durch die Amerikaner noch an Entkräftung und Hunger starben, wiederum Namenlose hinzu. In einer feierlichen Gedenkstunde wurden 701 Metallurnen beigesetzt, die die Nazis, neben solchen aus Ton, von 1937 bis 1945 massenhaft in Vorrat gehalten hatten.

Sie waren am 6. Mai 1997 bei Restaurationsarbeiten unter dem Dach des Krematoriums gefunden worden und enthielten Reste von Leichenbrand.

Der Leiter der Gedenkstätte, Volkhard Knigge, berichtete die Geschichte des Fundes, der 52 Jahre auf seine Entdeckung gewartet hatte. Der Hammerschlag eines Dachdeckers, der in einem versteckten Winkel auf eine Urne traf, die dabei zerbarst, brachte ihn zutage, „in einem Winkel verstaut, von dem der Verstand sich weigert, die Reste von Menschen zu vermuten“.

Knigge: „Ich weiß weder ihre Namen noch kenne ich den Tag ihrer Geburt oder den Tag ihres Todes.“ Die Urnen können nicht genau datiert oder zugeordnet werden. 100 Urnendeckel mit eingeprägten Namen und Lebensdaten, die in der Nähe lagen, können ihnen nicht zugeordnet werden. Diese Namen sind nun auf einer Stahlplatte unterhalb des neuen Grabes eingeprägt. Die meisten waren Russen oder Polen. Sie alle starben im Sommer 1942.

Nur eine kleine Trauergemeinde hatte sich um 14 Uhr am Grab eingefunden. Sie hörte die dumpfen Glockenschläge vom Turm des Mahnmals, schwieg im Gedenken an die Toten und hörte die Ansprache des jugoslawischen Schriftstellers Ivan Ivanji.

Ivanji, in Buchenwald mit der Häftlingsnummer 58.116 registriert, benannte die Unwirklichkeit der Trauerfeier an diesem Sommertag 1997: „Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, daß ich auf meiner eigenen Totenfeier spreche, ich kann mir nicht vorstellen, daß ich überlebt habe, ich kann mir nicht vorstellen, daß es KZs gegeben hat.“ Er hielt, trotz allen schmerzlichen Erinnerns, eine versöhnliche Rede, in der er vor allen anderen Gruppen an die der Kinder von Auschwitz erinnerte. Er bat in erster Linie die jungen Menschen in der Trauergemeinde: „Versucht anders zu sein, als wir's war'n.“

Die anschließende Bestattung wurde gemeinsam in einem ökumenischen Gottesdienst durch den Frankfurter Oberrabiner Menachem Klein, dem evangelischen Pfarrer Ricklef Münnich, Kaplan Günter-Christoph Haase und Protodiakon Gottfried Reinhard von der russisch-orthodoxen Kirche zelebriert.