„Die Wahlbereitschaft ist deutlich höher“

■ Eine Profilskizze der bündnisgrünen WählerInnen: Sie sind zwar älter geworden, sind aber immer noch anders als die anderen, sagt Forsa-Geschäftsführer Manfred Güllner

taz: Sie haben ein Wählerpotential von 12 Prozent für die Bündnisgrünen ermittelt, aber die aktuelle Stimmenabgabe auf 17 Prozent geschätzt. Wie kommt diese Differenz zustande?

Manfred Güllner: Es kommt darauf an, wie hoch die Wahlbeteiligung ist. In der wahlberechtigten Bevölkerung gibt es ein Potential von 12 Prozent für die Bündnisgrünen. Wenn die Wahlbeteiligung bei 50 Prozent läge, könnten die Bündnisgrünen 24 Prozent erreichen, bei der durchschnittlichen 70prozentigen Wahlbeteiligung kämen sie eben auf 17 Prozent.

Das heißt, die Wahlbereitschaft der Bündnisgrünen ist deutlich höher, und so entsteht die Differenz?

Ja, vor allem bei Abgeordnetenhauswahlen ist die Wahlbereitschaft von Anhängern der großen Parteien deutlich geringer.

In letzter Zeit haben sich die prägenden politischen Themen verschoben – hin zu Innerer Sicherheit und zu Sozialabbau. Haben die WählerInnen der Grünen die Entwicklung mitgemacht?

Nein. Eine der zentralen Erkenntnisse aus unseren Zahlen ist, daß eine große Diskrepanz in den Prioritäten festzustellen ist zwischen den Durchschnittswerten und den Anhängern der Bündnisgrünen. Beispielsweise, was die Innere Sicherheit angeht, das spielt eine viel geringere Rolle. Auf die Frage „Wie wichtig ist ein wirksamer Kampf gegen das Verbrechen?“ sagen mir 86 Prozent aller Berliner, „das hat hohe Priorität“, von den Anhängern der Bündnisgrünen sind es nur 44 Prozent.

Was bewegt dann die WählerInnen der Bündnisgrünen?

Die Lage am Arbeitsmarkt, aber das gilt für alle Parteien. Deutlich höher wird bei den Bündnisgrünen die Förderung des ÖPNV gewertet, das gleiche gilt für eine weitgehende Liberalisierung des Strafvollzugs und die Verteuerung der Energie.

Hat sich das in den letzten Jahren verändert?

Nein. Verändert hat sich das Alter der Wählerschaft. Früher lag das Maximum der Wähler unter 30. Damals fragten sich die Wahlforscher: „Was passiert eigentlich mit denen, wenn sie älter werden? Wählt der Jurastudent, der die väterliche Anwaltskanzlei übernimmt, wie sein Vater die CDU, oder wählt er weiter grün?“ Inzwischen kann man die Frage beantworten: Viele wählen weiter grün, denn inzwischen liegt das Maximum zwischen 30 und 45 Jahren. Die spannende Frage ist, ob diese demographische Wanderung weitergeht und in 20 Jahren das Maximum bei den über 60jährigen liegt.

Und wo gehen die jungen WählerInnen dann heute hin?

Wir haben eine Situation wie in den 50er und 60er Jahren: Die ganz Jungen gehen in sehr starkem Maße zur Union. Der Bundeskanzler kokettiert damit heute schon, und die Zahlen geben ihm recht. Interview: Barbara Junge