Die Stunde der Vergeltung Von Carola Rönneburg

Erst hatte man sie abgefüllt, bis sie kaum noch stehen konnten. Dann waren sie von verschwitzten Männern begrabbelt, weitergereicht und auf den Boden geworfen worden. Schließlich trampelte man auch noch auf ihnen herum: Die Sandsäcke an den Oderdeichen haben viel durchmachen müssen. Nun sollen Tausende von ihnen wieder gehen. In der letzten Woche begann die Deutsche Post AG, die 65.000 Postsäcke in die Hochwassergebiete geliefert hatte, die stummen Helden von der Oder im Rahmen einer Spendensammlung zum Stückpreis von 20 Mark zu verkaufen.

Aus ganz bestimmten Gründen wollte ich so einen Original-Sandsack aus dem Krisengebiet unbedingt haben. Die Post, so hieß es, übernehme die Versandkosten. Sie werde die Säcke mit einem Echtheitszertifikat sowie einer Sonderbriefmarke versehen und – zustellen. Jaha!

Ich wählte die Sandsackbestellnummer: (0180) 52829. „Guten Tag“, meldete sich eine ölige Männerstimme. „Ich freue mich sehr, daß auch Sie den Hochwasseropfern helfen wollen.“ – „Schon gut“, murmelte ich und fühlte mich ertappt, aber der Telefonist sprach vom Band und bereits weiter. „Als Dank für Ihre Hilfe erhalten sie pro 20-Mark-Spende einen der Sandsäcke, die geholfen haben, die ganz große Katastrophe zu vermeiden. Bitte sagen Sie mir nach dem Biep, wie viele Sandsäcke Sie erwerben möchten.“ Für einen Moment war ich versucht, „Na, gehmse mal fuffzichtausend, wa“ zu sagen. Aber dann beließ ich es nach dem Biep doch bei einem. „Prima!“ lobte der Schleimbeutel meinen Entschluß. Ich regte mich nicht auf. Diese Investition würde sich lohnen. Nnjarrnjarr! Also nannte ich noch meine Adresse, gab meine Rufnummer „Ziffer für Ziffer“ an und buchstabierte weisungsgemäß meinen Namen. Er könne ja nicht wissen, ob sich beispielsweise Meier mit e-ypsilon oder a-ypsilon schreibe, hatte der Sackverwalter erklärt. Nach einem erneuten „Prima!“ versicherte er mir, „die Sandsäcke“ würden nun „umgehend zugestellt“. Die Sandsäcke? Hatte er etwas falsch verstanden? Ach, egal. Bzw.: sogar wunderbar, harrharr!

Denn den Post-Sandsack habe ich geordert, um es einem anderen Sack zu zeigen: meinem Postboten. Wenn nämlich die Post ihre Oder- Sandsäcke ausliefert, wird sie wohl kaum wie üblich vorgehen können und jedem Empfänger mittels einer orangefarbenen Karte frech mitteilen, er sei nicht angetroffen worden und müsse sich deshalb seine Sendung vom nächsten Postamt abholen. Zu groß ist die Gefahr, daß Bilder von sterbenden alten Mütterchen ins Fernsehen geraten, die unter der Last ihres persönlichen Sandsacks zusammengebrochen sind und mit letzter Kraft „Ich wollte doch nur helfen“ in die Mikrofone flüstern. Das macht die Nation nicht mit.

Und so wird mein Postbote zum allerersten Mal in seinem Leben die Stufen zu meiner Wohnung hinaufsteigen müssen, den Sandsack vor die Brust geklemmt. Ich aber werde nicht da sein. Gnihihi! Ich werde unten im Treppenhaus weilen und zusehen, wie mein Postbote sich und die schwere und unhandliche, in meinen Augen aber sehr knuffige Erinnerung an diese außerordentlichen Rettungseinsätze wieder davonschleppen muß. Sagen Sie selbst: Ist das nicht zwanzig Mark wert?