■ Schlagloch
: Schmock- Alarm Von Pieke Biermann

Ich muß gestehen, daß mir die Länder Europas wie eine Ansammlung von Mausefallen vorkommen. Der einzige Unterschied ist, daß der Käse in einigen besser ist als in anderen.

Christopher Isherwood:

„Mr. Norris steigt um“

Ich muß gestehen, daß „Herr Issiwuh“ diese Bemerkung nicht auf Europa nach, sondern kurz vor dem Zweiten Weltkrieg gemünzt hatte. Und daß das natürlich nicht ganz koscher ist: verschiedene politische Großwetterlagen hinterrücks gleichzuschalten und auf wohlfeilen Applaus zu spekulieren („Genau! Der Mann hat ja so recht!“). Trotzdem, da ist was dran.

Keine zusammenhängende Landmasse auf unserem schönen blauen Planeten ist so reguliert, genauer gesagt: überreguliert, wie Europa. Der bekanntermaßen häufig triebderegulierte Herr Zeus hätte heutzutage vermutlich kaum Chancen, auch nur eine Nase voll von ihrem Duft zu erhaschen ohne langwierige Antrags-, Genehmigungs- und Vergütungsprozeduren inklusive Vergnügungs-, Mehrwert-, Maastrichtsteuern und andere Modalitäten kreativer Buchhaltung. Seinen Auftritt ausgerechnet als Stier hätte er sich als erstes abschminken müssen. Weniger, weil gattungsübergreifende Paarungspraktiken („Wie ich dir, Sodomie“) gesetzlich nicht vorgesehen sind und die innereuropäischen Differenzen allein hinsichtlich des Tierschutzes jahrelanges Paragraphenstudium erfordern. Sondern vor allem, weil er größte Mühe hätte, plausibel zu machen, daß er nicht doch auf den Britischen Inseln gezeugt resp. mit Tiermehl gemästet wurde. Aber lassen wir die Mythen. Ms. Europens heutige „Mausefallen“ sind leider Wirklichkeit und nicht für Mäuse oder andere Tiere konstruiert, sondern für Menschen. Und mit welchen Mechanismen – von A wie absurd bis Z wie zynisch – die zuschnappen, davon sind die Nachrichtenmedien täglich voll (selbst wenn die nur die absurdesten oder zynischsten Beispiele publizieren).

Die Sprache derer, die solche Mechanismen legitimieren und in Medien, die ihre Profite durch moral panic am besten gesichert sehen, noch mehr angebliche Bedrohtheit herbeischwallen, diese Sprache läßt einem und einer das Blut in den Adern gefrieren. Es ist die Lingua Tertii Imperii und seiner Umgebung, was da schwallt und lallt. Da folgt auf „Boot“ zwangsläufig „voll“, und niemand beschwert sich: „Das Geistige kommt hier zu kurz!“ Da werden Menschen, die vor Vergewaltigern und anderen Folterknechten, vor Krieg, Tod, Hunger in Europas Schoß flüchten, zu „Schüblingen“ und deren „Außerlandesverbringung“ (ein Wortmonster wie aus dem Gentech-Labor) regelrecht überlebensnotwendig für die Eingeborenen des verwöhnten Edelfräuleins Europa. Und wer über De- und Reportationen (das heißt: oft über Leben und Tod) zu entscheiden hat, der/die „vermag“ dann Hilferufen, Anträgen auf Aufschub und Menschenrechtsmittel „nicht zu entsprechen“ oder „Lebensgefahr nicht zu erkennen“ – weil das Land, aus dem allabendlich Bürgerkriegsbilder über die Fernsehschirme flimmern, dank langwieriger Bürokratie dummerweise noch nicht in irgendeiner verbindlichen „Liste“ steht.

Kein Zweifel: Das ist die Sprache von Eichmann und Konsorten. Und sie wird auch nicht dadurch komischer, daß die Gesichter, aus denen sie plappert, immer deutlicher von dieser eisig-selbstgerechten Kaltschnäuzigkeit gekennzeichnet sind, die nicht-geschichtsvergessene EuropäerInnen an die Visagen der Heydrich-Goebbels- Kaltenbrunner erinnert. Macht- Schmocks. Indolent, ignorant und von der markerschütternden Engstirnigkeit, die aus der Herzenskälte kommt.

Ich „vermag“ in ihnen nur eins zu „erkennen“: Vampire am schönen, prallen Leib namens Demokratie. Aber keine Angst: Ich mache hier keine moral panic, ich gestehe nur, daß mir diese Sorte Schmocks wie die wahre Ursache dafür vorkommen, daß die hiesigen BürgerInnen sich bedroht fühlen, und daß sie eben deshalb Sündenböcke brauchen. Aber so schnell ist ein blühender Leib nicht leergelutscht. Unser Frollein Europa ist noch immer bei weitem properer und robuster als andere Kontinente und frißt inzwischen auch nördlich des Limes Knoblauch satt.

Womit ich beim Käse wäre, den Christopher and his kind hie lieber mögen als da. Oder umgekehrt. Vermutlich produziert auch keine zusammenhängende Landmasse seit Abergenerationen soviel davon wie Europa. Allein Frankreich soll über 250 Sorten Käse verzapfen, pardon: herstellen und dem Verkehr zuführen. Ich muß gestehen, daß ich nicht sicher bin, ob es darin nicht heutzutage doch schon von „diesem unserm Land“ hier überboten wird. Es ist natürlich alles eine Frage der Definition – was genau ist Käse?

Ich will das an einem zufällig dieser Tage hochgekochten Beispiel erörtern. Bekanntlich ächzt Ms. Europa seit einiger Zeit unter dieser hundsgemeinen Hitze, nicht bloß in Berlin (wo sich dies Jahr Siebenschläfer und Hundstage gleich ineinander verkrallt haben), sondern auch in Paris. Ein festgeklemmtes Hoch, strahlende Sonne und – giftige Luft. Sommersmog genannt. Ebenso bekannt ist (aus europäischen Feldversuchen der letzten Jahre), daß es für derlei Ungemach relativ einfache mildernde Mittelchen gibt. Sie doktern zwar nur an Symptomen, aber das ist ja schon was. Ein sonniger Sommer, das wissen selbst die Schmocks in den Stadtverwaltungen, ist die Hochzeit der öffentlichen Transportmittel, so wie Grippewellen die Hochzeit von Nasentropfen und Inhalierkamille sind.

In Paris also haben sie kurzerhand die Bus- und U-Bahntickets im Preis halbiert. Man kann darüber streiten, ob das Käse ist. Ich finde: ja. Und kein sehr ausgereifter. Die reife Lösung wäre natürlich gewesen, die automatischen Sperren der Métro aufzuschließen und die Busfahrer vom Fahrkartenverkauf freizustellen. Mit einem Wort: Nulltarif.

Der Berliner Käse allerdings ist unbestreitbar, um nicht zu sagen indiskutabel. Befragt, ob dieses Modell auch in der selbstgekrönten Weltstadt machbar wäre, vermochte ein Sprecher der Berliner Verkehrsbetriebe keinen Handlungsbedarf zu erkennen. Erstens, gab er zu bedenken, müßte man die Besitzer vergünstigter Dauerkarten entschädigen, „da diese ja dann doppelt zahlen würden“, zweitens sei die BVG die falsche Adresse, „da dies eine Entscheidung ist, die die Politik treffen muß“.

Der nach dem BVG-Schmock befragte Senatsschmock teilte den verblüfften RadiohörerInnen mit, daß auch halbe Fahrpreise kein Mehr an Fahrgästen bringen und der Senat weder fähig noch auch nur willens sei, also entstehende Defizite aufzufangen.

Wickert, übernehmen Sie! möchte man dem populärsten deutsch-französischen Käsefachmann zurufen. Geben Sie vor dem nächsten Smogwetterbericht Schmockalarm: Knoblauch ins Getriebe! Gegen derart munstermäßig stinkenden Käse hilft nur, was die Stadtbewohner dann sowieso tun: BVG nehmen, Auto stehen- und das Bezahlen seinlassen.

Ich vermag darin nichts als zivile Vernunft zu erkennen.