Empörung über Prellbock Kanther

■ Unter den prominenten Unterstützern des "Friedenszuges Musa Anter", der gestern aus Brüssel nach Kurdistan hätte starten sollen, löst das Einreiseverbot der Bundesrepublik wütenden Protest aus

Frankfurt a.M./Brüssel (taz) – Gestern Abend um 19.58 Uhr hätte der Friedenszug „Musa Anter“ im Frankfurter Hauptbahnhof eintreffen und dort mit einer Kundgebung begrüßt werden sollen. Die sagten die Veranstalter kurzfristig ab und luden statt dessen zu einer Pressekonferenz, um die Entscheidung des Innenministers Manfred Kanther zu geißeln, den Zug nicht einreisen zu lassen, weil es sich um eine „PKK-Werbeveranstaltung“ handele.

Professor Ulrich Gottstein, Mitinitiator des Friedenszuges, gab seiner Empörung auch im Namen der „Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg“ (IPPNW) Ausdruck. Er nannte das Reiseverbot „einen Skandal“, dem ein „öffentlicher Aufschrei“ folgen müsse. Er lasse sich ebensowenig wie die vielen international bekannten Schriftsteller, Abgeordneten und gar die britischen „Members of The House of Lords“, die den Zug unterstützten, als PKK-Sympathisant diffamieren.

Der Mainzer Pfarrer Friedrich Vetter wies den Verdacht einer Funktionalisierung des Zuges durch die kurdische Volkspartei zurück: „Wir sind ja auch nicht so blauäugig. Frieden stiften kann nur, wer nicht nur eine Fahne aus dem Fenster hängt.“ Der Zug sei bis vor vier Tagen mit allen Behörden in allen Ländern abgesprochen und genehmigt gewesen. PKK-Symbole, versicherte auch Gottstein, hätte er eigenhändig wieder entfernt. Schon deshalb sei der Stopp durch Kanther „völlig unverständlich“.

Der Innenminister hatte sich auf das Recht der Bundesrepublik berufen, solchen Ausländern die Einreise zu verweigern, die die Reise „als Werbeveranstaltung“ für die PKK nutzen könnten. Das, so Gottstein, sei ihr „unbenommen“, aber schon deshalb gegenstandslos, weil sowohl die Mitglieder des „Appells von Hannover“ als auch die Mitreisenden namentlich bekannt seien.

Rein technisch, so die Organisatoren, wäre der von der Bundesbahn gemietete Zug nur einer von vielen gewesen, die täglich als deutsche Touristen-Sonderzüge in die Türkei fahren. Gottstein ging davon aus, daß auch die türkische Regierung es sich nicht hätte leisten können, die Prominenz an der Grenze zurückzuweisen. Er habe „gehofft, denn das darf man immer“, tatsächlich bis ins kurdische Diyarbakir zu kommen, wo am 1. September zum Antikriegstag ein großes Friedensfest gefeiert werden wird.

Bei einer weiteren Pressekonferenz in Brüssel kritisierte auch der Friedensnobelpreisträger José Ramos Horta die Entscheidung der deutschen Behörden. Er verglich die Unterdrückung der Kurden mit der Situation in seiner Heimat Ost-Timor, wo die westlichen Regierungen ebenfalls aus opportunistischen Gründen wegsehen würden. „Diese Realpolitik ist es, die es der türkischen Regierung erlaubt, so weiterzumachen.“ Das Komitee der Friedensnobelpreisträger werde in Kürze einen Verhaltenskodex für den Umgang mit Unterdrückerstaaten empfehlen, sagte Horta, darin werde ein Stopp der Waffenlieferungen gefordert. Er werde sich dafür einsetzen, daß „die Türkei auf der schwarzen Liste sein wird“.

Der frühere schwedische Parlamentsabgeordnete Osfald Sederkvist warf der Bundesregierung vor, dem Druck der türkischen Regierung nachgegeben zu haben. Gute Beziehungen seien ihr offensichtlich wichtiger als Menschenrechte. Dorea Awami von der französischen Friedensbewegung kündigte an, sie wolle die Bundesregierung vor Gericht verklagen. Sie fühle sich von Bundesinnenminister Kanther kriminalisiert.

Die Schweizer Abgeordnete Fabienne Blanc von den Sozialdemokraten protestierte ebenfalls gegen Ausweitung des Terrorismus-Begriffs. Für Kanther sei ihr Parlamentsausweis offensichtlich so etwas wie ein Terroristenausweis.

Ein Sprecher des „Appells von Hannover“ sagte in Oberursel, 10 bis 15 Mitglieder der internationalen Delegation wollten voraussichtlich morgen „in Vertretung für den gesamten Zug“ gemeinsam nach Istanbul fliegen und von dort nach Diyarbakir im türkischen Kurdengebiet weiterreisen. Heide Platen, Alois Berger

Kommentar Seite 10