Treffliche Spießer mit Fremdgehautomatik

■ Fader Schlüssellochroman eines Kritikers: Michael Merschmeiers „Berliner Blut“

An Hamburger Häuserwänden konnte man zu Zeiten der Auseinandersetzungen um die Musicalspielstätte Neue Flora lesen: „Macht Kurz lang“– ein Wortspiel auf den Manager Friedrich Kurz und dessen Kommerzkultur. John Long heißt nun eine der Hauptfiguren in Michael Merschmeiers Bucherstling Berliner Blut – dieser Name wirkt wie ein später Reflex auf die Parole von einst: Überhaupt kommt das ganze Buch recht spät, denn es handelt in grob verschlüsselter Form von der Schließung des Berliner Großen Schauspielhauses, hinter dem unschwer das Schiller-Theater zu erkennen ist. Des weiteren handelt Berliner Blut von hochsensiblen Kulturschaffenden und der selbstverliebten Kulturschickeria der deutschen Hauptstadt, von ebenso eitlen wie mediokren Vertretern der Kultusbürokratie sowie den story- und bodygeilen Journalisten der Kulturszene. Angereichert wird diese Mixtur neben den materiellen und informellen Lockungen durch ein homosexuelles Beziehungsgeflecht. John Long mag sado-masochistische Sexualpraktiken und „liebte Orte, an denen sich die Randgestalten der Gesellschaft mischten, um schmutzigen Geschäften nachzugehen.“

Unter Einsatz erheblicher Bestechungsgelder fließen Long die einträglichen Informationen zu, damit sein Theater-Übernahmecoup bestens vorbereitet und aus einem vermeintlich künstlerisch wertvollen Bühnenbetrieb eine Talmitouristenattraktion werden kann. Dabei agieren die betroffenen Künstler fortwährend, als stünden sie weiterhin auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Die Theaterwelt und die wirkliche Welt scheinen ununterscheidbar. In diesem Korruptions-, Investitions- und Medienspiel ist Macht eine simple Frage: „Macht wieviel?“

Mit Sottisen über die einschlägigen Gestalten des Berliner Kulturbetriebs hangelt sich Merschmeier über die Seiten – rechte Spannung will dabei nicht aufkommen, da muß „die explosive Mischung von Chanel und Charme“reichen.

Der hehre Held des Buches heißt sinnigerweise Kai Engel, ist homosexuell und beginnt eine Beziehung mit dem Schauspieler und Schlichter in Schiller-Theater-Dingen, Daniel: „Muß ich mich schützen gegen diesen Mann? Oder gegen mich? Ich empfinde die Dünnhäutigkeit wieder, die ich aus der Pubertät kenne.“Kai Engel sondert nicht nur diese peinliche Prosa ab, sondern ist außerdem Helfer der abgehalfterten Diva des Theaters in Abwicklung, der nervlich übersp-annten Schauspielerin Hedda Felsenstein. Sie zündet schließlich im lodernden Finale das Große Schauspielhaus an (Parallelen zum Reichstagsbrand sind keineswegs zufällig).

Als Gefangener aller Theatralik, die dem Betrieb eignet, läßt Merschmeier keinerlei Ironie erkennen. Hier sind die Schauspielerinnen rachsüchtige Megären, die Regisseure heftige Trinker, die Kultusbeamten peinliche Schleimer, die Politiker treffliche Spießer mit Fremdgehautomatik und die Drahtzieher routinierte und kühl kalkulierende: Am Ende steht die dürftige Einsicht, „daß jeder jeden verriet, daß fast alle für Geld bereit waren, fast alles zu tun.“

Merschmeier weiß, wovon er schreibt. Der Berliner Theaterkritiker rekapituliert die erste spektakuläre Theaterschließung der neuen deutschen Republik vor vier Jahren und reichert seine Kolportagestory mit süffig aufbereitetem Insiderwissen an – die Welt als Wille und Vorstellung eines Kritikers, der auch als Schriftsteller ernstgenommen werden will. „Nickt freundlich, der junge Mann. Hübsch, die blonde Locke, die auf seinem kahlen Schädel wippt“– unverholen selbstverliebt porträtiert sich der Autor in Kai Engel.

Merschmeiers Schlüssel-, oder besser Schlüssellochroman ist von zweifelhafter Güte, weil er die Szene, die er zu durchleuchten vorgibt, bloß spiegelt: eine laue Geschichte, ein kaum zu dechiffrierendes, weil viel zu penetrant chiffriertes Personal, ein flau formuliertes Sprachgeschmock und maue Einsichten zur unaufhaltsamen Kommerzialisierung von Kultur. Wer hätte Berliner Blut wohl verlegt, wäre sein Autor nicht einflußreicher Redakteur von Theater heute und Jurymitglied fürs Berliner Theatertreffen?

Frauke Hamann

Berliner Blut, Rotbuch Verlag, Hamburg 1997, 279 Seiten, 38 Mark