■ Berlins Schwarzfahrer können aufatmen. Im Gefängnis werden sie nicht landen. Das Law-and-order-Modell, das New Yorks Expolizeichef gestern in der Hauptstadt präsentierte, kann nicht einfach übernommen werden
: Berlin bleibt doch Berlin

Berlins Schwarzfahrer können

aufatmen. Im Gefängnis werden sie nicht

landen. Das Law-and-order-Modell,

das New Yorks Expolizeichef gestern

in der Hauptstadt präsentierte,

kann nicht einfach übernommen werden

Berlin bleibt doch Berlin

Iwant to talk about a revolution“ – William Bratton, ehemaliger Polizeichef von New York und neuer Guru der bundesdeutschen Sicherheitspolitiker, hatte sich für seinen gestrigen Auftritt in der deutschen Hauptstadt viel vorgenommen. „Eine Revolution geht um die Welt“, versprach er den rund hundert Polizisten und Sicherheitspolitikern, die auf Einladung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in den beengten und überhitzten Tagungsraum eines Berliner Hotels gekommen waren. Über Stunden harrten sie dort aus – nur wegen der Hoffnung, Polizeiarbeit möge jetzt anders werden. Doch eines konnte auch Brattons Anwesenheit nicht verhindern: die Einsicht, daß New Yorker Konzepte nur bedingt auf Berlin übertragbar sind.

„Mein Name ist Bill Bratton, und ich will Ihnen eine Geschichte erzählen“, begann der von vielen zum Heilsbringer Erkorene seinen Vortrag. Er erzählte die Geschichte von einer Weltmetropole, in der sich in den achtziger Jahren kein Mensch mehr in die U-Bahn begeben konnte, in der vor lauter Graffiti kein Mauerwerk mehr zu sehen war und in der die Polizei kapituliert hatte. Die Ursache für die Verwahrlosung der Sitten macht er in einer übermäßig toleranten Gesellschaft aus, die seit dem Ende der sechziger Jahre Einzug gehalten habe.

In Amerika habe die Revolution der Polzeiarbeit ihren Ausgang genommen. Mit der Erhöhung der Polizeistärke und mit einer neuen Philosophie habe er als Polizeichef die Straßen der Stadt wieder sicher gemacht und damit begonnen, das Verhalten der Menschen auf den Straßen zu „kontrollieren“. „Damit haben wir das Verhalten geändert“ – die Polizei als Sittenwächter.

Brattons Grundthese lautet: Unordnung führt zu Verbrechen. Kritiker bemängeln, daß damit jeder Bürger schon aufgrund kleiner Regelverstöße ins Fadenkreuz der Polizei gerät. Brattons Grundthese, daß das Verfolgen kleinster Regelübertritte zu einer Verringerung von Verbrechen führe, belege er aber nicht. Die These ist tatsächlich fragwürdig: Der Radfahrer, der auf dem Gehweg rast, wird wohl kaum zum Bankräuber mutieren.

Gestern machte Bratton Gemeinsamkeiten zwischen New York und Berlin aus: Die Überhandnahme von Graffiti deutete er als „Flagge der Resignation“. „Noch haben Sie die Straßen Berlins nicht verloren“, schloß er warnend seine Ausführungen, „doch stoppen Sie den Prozeß jetzt, solange es noch geht!“ Er bemerkte jedoch auch anerkennend, daß die Polizeipräsenz in Berlin recht hoch sei. Tatsächlich ist die Polizeidichte in Berlin höher als in New York: Dort kommt auf 180 Einwohner ein Polizist, in Berlin kommt ein Polizist auf 128 Einwohner.

Dankbar nahmen die geladenen Referenten – Berlins Innensenator Jörg Schönbohm (CDU), Polizeipräsident Hagen Saberschinsky und der GdP-Vorsitzende Eberhard Schönberg – Brattons Thesen auf; jeder für seine eigenen Zwecke.

Denn mit der Diskussion um die New Yorker Verhältnisse und das gepriesene Polizeikonzept verbindet sich nicht der Wunsch, dieses direkt auf Berlin zu übertragen. Vielmehr dreht sich die nun schon Wochen anhaltende Debatte um einen Paradigmenwechsel in der Inneren Sicherheit. Die Polizeigewerkschaft hofft auf ein Zurückschrauben hinderlicher Bestimmungen, wie sie im Datenschutzgesetz gegeben sind, und setzt wie die CDU auf die Ausdehnung von Überwachungskompetenzen. „Deutsches Polizeirecht behindert vorbeugende Verbrechensbekämpfung“, beklagte GdP-Chef Schönberg. Was die Übertragbarkeit des New Yorker Modells auf Berlin betrifft, äußerte sich Polizeipräsident Hagen Saberschinsky besonders zurückhaltend. „Ich halte sehr wohl eine ganze Reihe von Aspekten für vergleichbar und übertragbar, aber eben nicht alle.“ Das Ausmaß der Kriminalität sei in New York um ein Vielfaches höher. Saberschinsky schloß sich zwar der Grundthese Brattons an, daß Kriminalität eingedämmt werden kann, wenn Regelverstöße und Ordnungswidrigkeiten von der Polizei verfolgt werden, machte aber keine klare Aussage, ob die Berliner Polizei künftig gegen Ordnungswidrigkeiten vorgeht, die gegen die Lebensqualität gerichtet sind.

Saberschinsky will den Reformkurs der Berliner Polizei fortführen. „Ich fühle mich durch die Kenntnis der New Yorker Maßnahmen bestärkt, am Berliner Modell festzuhalten.“ Ab Herbst wird ein neues Konzept erprobt, das die Schutzpolizei stärker in die Verbrechensbekämpfung einbezieht. Dadurch wird die Kriminalpolizei entlastet und kann sich stärker auf schwere Verbrechen konzentrieren. Zudem soll die Polizeiarbeit wieder dezentralisiert werden.

Im Gegensatz zum Polizeipräsidenten erklärte Berlins Innensenator Schönbohm: „Wir können trotz der rechtlichen Unterschiede aus den Erfahrungen New Yorks lernen. Allerdings werden wir andere Methoden anwenden.“ Gegen die Bekämpfung von Graffiti geht die Berliner Polizei schon seit zwei Jahren verschärft vor. Schönbohm hat sich in letzter Zeit für „verdachtsunabhängige Kontrollen“ und Videoüberwachung öffentlicher Plätze ausgesprochen. Der Berliner Fraktionschef der Grünen, Wolfgang Wieland, kommentierte: „Ich höre immer den Sinatra-Song ,New York, New York‘ und frage mich: Wer hat es in ,Berlin, Berlin‘ umgetextet? Das war Harald Juhnke. Doch Juhnke dürfte das jetzt nur noch im Knast singen, denn in New York ist Trinken in der Öffentlichkeit verboten.“ Barbara Junge, Dorothee Winden