Das Portrait
: Auf Wahrheitssuche in Guatemala

■ Christian Tomuschat

„Es ist viel anstrengender, als ich es mir vorgestellt hatte.“ Christian Tomuschat schaut müde über den Goldrand seiner Lesebrille. Drei Wochen in Guatemala, zehn Tage in Berlin, wieder drei Wochen Guatemala,... Ein Mann von sechzig Jahren steckt das nicht mehr so locker weg. Tomuschat ist Völkerrechts- Professor an der Humboldt- Universität und gleichzeitig Vorsitzender der guatemaltekischen Wahrheitskommission, die seit dem 1. August die Menschenrechtsverletzungen aus 36 Jahren Bürgerkrieg aufzuklären versucht.

Soll die Verbrechen von 36 Jahren Krieg aufklären: Christian Tomuschat Foto: Thilo Rückeis

Der Mann hat Erfahrung mit dieser Materie. Zehn Jahre lang, von 1977 bis 1986, saß er im Menschenrechtsausschuß der Vereinten Nationen. Von 1990 bis 1993 war er Menschenrechtsberichterstatter der UNO für Guatemala. Einmal drei Wochen und einmal zwei Wochen lang war er damals im Land.

Offenbar hat er damals sowohl die Regierung als auch die URNG-Guerilla überzeugt. Denn als die beiden Seiten Ende Dezember vergangenen Jahres einen Friedensvertrag unterzeichneten, einigten sie sich schnell auf Tomuschat als Vorsitzenden der Wahrheitskommission. In sechs Monaten soll sein Bericht fertig sein.

Tomuschat weiß schon heute, daß er eine Verlängerung brauchen wird. Und auch so lassen sich die 40.000 Fälle, mit denen er rechnet, kaum verarbeiten. Das will er auch nicht. „Ein Bericht mit 40.000 Fällen, das ist wie ein Telefonbuch. Niemand liest ein Telefonbuch.“ Stattdessen will der Völkerrechtler die Ursachen des Bürgerkriegs erforschen. „Die Gesellschaft soll sich klar machen, welche Fehler sie begangen hat, weshalb man den Respekt vor dem menschlichen Leben verloren hat.“ Ohne „Gewissenserforschung“, fürchtet er, „kann das morgen genauso weitergehen, zumal sich die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht geändert haben.“ Großgrundbesitzer und verstockte Militärs werden sich kaum zur Reue bewegen lassen wollen.

Und Tomuschat kann sie nicht zwingen, das steht im Friedensvertrag. Kriegsverbrecher dürfen nicht einmal namentlich genannt werden. Tomuschat denkt eher an moralische Methoden: Er will Massengräber ausheben lassen, „und die verantwortlichen Militärs sollen dabei sein, wenn die Gebeine von ermordeten Frauen und Kindern ans Licht kommen.“ Toni Keppeler