Frankreich grübelt über seinen Rückzug aus Afrika

■ Chirac erklärt Ende der Interventionspolitik – inmitten wachsender Spannungen

Berlin (taz) – Sind die Zeiten der französischen Großmachtpolitik in Afrika vorbei? Präsident Jacques Chirac sagte am Mittwoch in einer Rede vor Diplomaten, Frankreich werde sich in Afrika zukünftig „jeder Intervention enthalten, von welcher Art auch immer, ob politisch, militärisch oder anders“. Die Afrikaner müßten fortan „die Lösung ihrer Probleme selber in die Hand nehmen“.

Es war das erste Mal, daß der neogaullistische französische Staatschef sich öffentlich die Revision der Pariser Afrikapolitik zu eigen macht, die die im Juni gewählte sozialistische Regierung betreibt. Verteidigungsminister Alain Richard hatte Mitte August die Verringerung der 8.000 Mann starken französischen Truppenpräsenz in Afrika angekündigt und vor allem den Rückzug aus der Zentralafrikanischen Republik in Aussicht gestellt, bisher Sprungbrett für diverse Militärinterventionen im zentralafrikanischen Raum. Schon im Juni hatte sich Frankreich geweigert, in den beginnenden Bürgerkrieg in Kongo- Brazzaville einzugreifen, obwohl in Brazzaville aufgrund des vorherigen Machtwechsels im benachbarten Zaire bereits französische Truppen stationiert waren. Die französischen Soldaten beschränkten sich auf die Evakuierung von Ausländern, während Kämpfe zwischen Regierungsarmee und regimefeindlichen Milizen Tausende Tote forderten.

Da Kongo-Brazzaville wie auch die Zentralafrikanische Republik finanziell und militärisch völlig von Frankreich abhängig sind, verärgert die neue französische Zurückhaltung die Regierungen beider Länder. Der zentralafrikanische Präsident Ange-Félix Patassé fühlt sich „bestraft“, der kongolesische Staatschef Pascal Lissouba „verraten“. Beide nähern sich jetzt ausgerechnet Frankreichs ärgstem Feind in der Region an: Laurent-Désiré Kabila, Präsident der an beide Länder grenzenden Demokratischen Republik Kongo (Ex-Zaire). Als die Kämpfe in Brazzaville Mitte August wieder aufflammten, reiste Präsident Lissouba über den Kongo-Fluß zu Kabila nach Kinshasa. Beide schlugen die Entsendung einer Friedenstruppe nach Brazzaville vor, bestehend unter anderem aus Kabilas Soldaten und Truppen aus Ruanda und Uganda. Für Frankreich wäre dies unannehmbar. Kabilas Interesse daran wäre groß, denn Lissoubas Gegner sollen aus Ex-Zaire Zulauf von versprengten Mobutu-Soldaten und ruandischen Hutu-Milizionären erhalten haben.

Vor dem Krieg in Kongo-Brazzaville sind inzwischen 800.000 Menschen – fast ein Drittel der Bevölkerung des Landes – auf der Flucht; die Hauptstadt Brazzaville ist ein Trümmerfeld, und alle Seiten befürchten eine weitere Ausdehnung der Kämpfe am kommenden Wochenende. Dann läuft nämlich nach Auffassung der Opposition die Amtszeit von Lissouba als Staatschef aus – die geplanten Wahlen im Juli kamen wegen des Krieges nicht zustande.

Sollte Kongo-Brazzaville nächste Woche vollends im Chaos versinken, würde der geplante französische Rückzug aus dem zentralafrikanischen Raum in einem Desaster enden, noch bevor er richtig begonnen hat. Nicht zufällig bewirkten Chiracs Äußerungen in Paris Verstimmung. Das – sozialistisch geführte – Außenministerium hielt gestern Chiracs Rede unter Verschluß und erklärte der taz, der Redetext müsse „korrigiert“ werden. Dann hielt Außenminister Hubert Védrine eine eigene Rede, in der er klarstellte, Frankreich wolle in Afrika „eine stabilisierende und nützliche Militärpräsenz“ aufrechterhalten. Dominic Johnson