Vom Handelsweg zum Spaßkanal

150.000 Paddler tummeln sich jährlich an der Lahn. Der Freizeitdruck auf Deutschlands schönsten Bootswanderfluß ist gestiegen. Die Naturschützer sehen es mit Grausen. Bootswandern wird zum Fun-Sport  ■ Von Gerhard Fitzthum

Die Badenburg liegt unweit von Gießen direkt an der Lahn: Georg Büchner nutzte das alte Wirtshaus für konspirative Treffen, redigierte hier seinen revolutionären Hessischen Landboten und brachte sich damit in Lebensgefahr.

Auch heute sucht man die Gefahr, zumindest die Herausforderung: Das alte Wehr ist längst geschliffen, und so finden sich in der ansonsten ruhig dahinfließenden Lahn ein paar hübsche Stromschnellen, in denen Mitglieder eines Kanuclubs das Wildwasserfahren üben. Seitdem die Lahn aktiv- touristisch vermarktet wird, hat sich allein innerhalb der letzten fünf Jahre die Zahl der „sanften“ Wassersportler auf der Lahn verzehnfacht: 150.000 PaddlerInnen sind nun jährlich auf Deutschlands schönstem Bootswanderfluß unterwegs, Tendenz steigend.

Die NaturschützerInnen sehen's mit Grausen, denn der enorm gestiegene Freizeitdruck bedroht Teichrallen, Zwergtaucher und andere gefährdete Vogelarten. Auch den zuständigen Behörden ist die Zuspitzung der Situation nicht verborgen geblieben. So gilt seit dieser Saison eine neue Auenschutzverordnung, die für Lahn- Paddler insgesamt dreißig Ein- und Ausstiegsstellen und darüber hinaus sechs Rastplätze festlegt. „Genehmigungspflichtig“, also verboten, ist nun jegliches Anlegen und Lagern von Booten außerhalb dieser Stellen, das Heranfahren an den Fluß mit Autos sowie wildes Campieren. Aber natürlich hält sich niemand daran: Es fehlen nämlich die nötige Beschilderung und das Personal, um die Verordnung auch praktisch durchzusetzen. Außerdem ist ein Rastplatz je 25 Kilometer befahrbarer Lahn absurd wenig.

Daß der hessisch-rheinländische Fluß von immer mehr PaddlerInnen heimgesucht wird, verdankt sich nicht nur dem unaufhaltsamen Aufstieg des Aktivtourismus, sondern auch der verkehrsmäßigen Abgeschiedenheit des Lahntals. Es ist in weiten Teilen viel zu windungsreich, um eine große Straße direkt hinein zu legen. So öffnet sich eine Welt, in der immer noch der Fluß den Rhythmus bestimmt.

Ab Wetzlar kommt eine weitere Annehmlichkeit hinzu: Von nun an sind die Wehre mit Kammerschleusen versehen, die das mühsame Umtragen der Boote unnötig machen. Sie stammen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, als man noch an die Zukunft des Güterverkehrs auf dem Wasserweg glaubte. Doch kurz darauf begann man mit dem Bau der Lahntalbahn, die als Nachschublinie Berlin–Metz vor allem militärische Bedeutung hatte. Gegen sie hatte die Binnenschiffahrt keine Chance. 1971 schließlich wurde sie eingestellt. Die Lahn ist seither ein reines Freizeitgewässer.

Der Luxus der Kammerschleusen hat allerdings seinen Preis: Die Begegnung mit Motorbooten wird nun immer wahrscheinlicher. Als Bundeswasserstraße hat die Lahn noch den verkehrspolitischen Status des 19. Jahrhunderts, und so schränken nur unpassierbare Flachstellen den Aktionsradius der Freizeitkapitäne ein. Gelegentlich trifft man sogar auf behördlich genehmigte Wassersportstrecken, auf denen Boote mit Wasserskiläufern im Schlepp die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 12 Stundenkilometern beliebig überschreiten dürfen und es einem angst und bange werden kann. Brentanos „lieber Fluß der Ruhe“ hat sich hier in einen schäumenden Freizeitkanal verwandelt.

War die Lahn im Oberlauf zwischen Marburg und Gießen noch von knorrigen Baumriesen gesäumt, die mit ihrem Blätterdach eher an eine Amazonaslandschaft denn an biederes Mittelhessen denken lassen, so dominiert seit Beginn der Bundeswasserstraße das Bild einer weiträumigen Nutzlandschaft, die den Fluß auf die bloße Gewässerbreite reduziert. Erst kurz vor der alten Residenzstadt Weilburg ist das Landschaftsbild wieder attraktiver. Das Tal wird in diesem Bereich enger und felsiger, mit Ausnahme der Lahntal-Bahn kehrt im Uferbereich nun große Stille ein. Baugeschichtliche Highlights wie das Braunfelser Zuckerbäckerschloß und das burgenbewehrte Städtchen Runkel mit seiner mittelalterlichen Steinbrücke machen die Idylle perfekt – ein schöner Schein freilich, denn überall, wo die Lahn schiffbar war, ist in den letzten Jahrhunderten kein Stein mehr auf dem anderen geblieben: Untiefen wurden immer wieder ausgebaggert, Saumgehölze und Schilfgürtel beseitigt und weite Teile der Uferlinie durch massive Steinschüttungen befestigt.

Vor allem hier, im „romantischen“ Teil der Lahn, tummelt sich die neue Spezies der Gelegenheitspaddler. Fast alle sind KlientInnen von Tourenveranstaltern und Bootsverleihern, die in den vergangenen Jahren wie Pilze aus dem Boden schossen. Mehr als sechshundert Leihboote gibt es nun insgesamt an der Lahn, und an manchen Tagen läßt ein einziges Unternehmen fünfhundert PaddlerInnen auf ein und dasselbe Teilstück los.

Traditionspaddler wie Rolf Strojec von der Hessischen Kanuschule sind sauer. Bei den kommerziellen Anbietern herrsche eine „unreflektierte Goldgräberstimmung“, die die Behörden zu immer schärferen Reglementierungen zwinge. Für den engagierten Umweltpädagogen liegt das Hauptproblem im gewandelten Freizeitverhalten: Die heutigen Lahn-PaddlerInnen seien entweder vom blinden Zwang zum Aktivsein geprägt oder in Sachen „Spaß“ unterwegs. Beiden Trends sei gemein, daß die ganz eigene Besinnlichkeit des Wasserwanderns auf der Strecke bleibe. „Die Flußlandschaft wird zum bloßen Kulissenraum und damit beliebig austauschbar.“

Von der alten Reisekultur des Bootswanderers ist tatsächlich nicht mehr viel zu sehen: Ganze Betriebsfeiern werden nun auf dem Fluß abgehalten, nicht selten trifft man auf johlende Kegelclubs, die neben dem Boot herschwimmende Bierdosen lustig finden. Und unter dem Feldzeichen des „Fun-Sports“ machen findige Veranstalter dem neuen Lifestyle-Publikum nun abstruseste Komplettangebote. Nicht selten gehören „Sektempfänge“ dazu, aber auch von „feinster Outdoorküche am Fluß“ ist die Rede.

Ralf Kruse, der als Vorsitzender der „IG Lahntouristik e.V.“ die Interessen der Bootsverleiher vertritt, bestätigt diesen Trend zum Komfort: Viele Aktivtouristen seien nicht mehr bereit, in traditioneller Paddlermanier die Nacht auf dem Zeltplatz zu verbringen. Man verlange ein gutes Hotel, und wenn keins in der Nähe sei, lasse man sich hinfahren. So wird aus der ehedem eher umständlichen selbstorganisierten Paddeltour mit Hilfe der Anbieter ein „Rundumsorglos“-Event.

Dazu passen die doppelwandigen Kanadier, die sich die Verleiher heute im Zehnerpack anschaffen: Sie sind aus Polyethylen, unsinkbar und unverwüstlich – robuster jedenfalls als die mancherorts noch unverbauten Uferböschungen, in denen ungeübte Paddler immer wieder ihre Bootsspitzen hineinbohren. Zugleich erwecken sie den Eindruck, daß es für diese Freizeitbeschäftigung weder Vorbereitung noch Übung brauche. Die alten Wanderkajaks werden dagegen immer seltener, und wer gar im klassischen Faltboot daherkommt und vielleicht sogar stromaufwärts fährt, erscheint der nautischen Fun-Sport- Society als Saurier.

Geplant war das alles freilich etwas anders, als sich vor wenigen Jahren elf Städte und fünf Fremdenverkehrsverbände für eine „umweltgerechte“ Erschließung der Lahnregion entschieden. Grundlage ihrer Kooperation wurde eine Marketingstudie mit dem sprechenden Titel „Sanfter Tourismus an und auf der Lahn“. Im Hochglanzprospekt firmiert das malerische Tal mit seiner kastenförmig ausgebaggerten Schiffahrtsstraße nun als „stiller Traum der Natur“.

Das Konzept ist seriöser, als es der schrille Slogan befürchten läßt: Es will den Freizeitbetrieb im touristischen Niemandsland Mittelhessens zu einem Wirtschaftsfaktor machen, ihn aber von Anfang an in sozial- und umweltverträgliche Bahnen lenken. Geplant ist die Einbindung des öffentlichen Nahverkehrs und die Kombination des Bootstourismus mit anderen „stillen, landschaftsorientierten Lebensformen“ wie Wandern und Radfahren. Man will nicht die breite Besuchermasse, sondern eine „umweltsensible Gästegruppe“ – den „naturverbundenen Menschen, der in erster Linie Ruhe und Erholung sucht“.

Woher man Touristen dieses Typs nehmen will, bleibt allerdings rätselhaft. Nach Lutz Blank, dem Autor der brandneuen Studie der Uni Marburg, überwiegt bei den Lahnpaddlern jedenfalls eindeutig

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das Spaß- und Geselligkeitsmotiv, während das Naturerlebnis seine frühere Vorrangstellung eingebüßt habe. Dem „sanften Tourismus“ auf der Lahn fehlt es an „sanften“ Touristen. Ändert sich nichts, so wird es auch an der Lahn bald zu den Teilsperrungen kommen, die an anderen deutschen Flüssen inzwischen in Kraft getreten sind.

Bei Limburg beginnt der Unterlauf der Lahn, und noch einmal wird vieles ganz anders: Der ehemalige Wildfluß ist nun durchgängig staugeregelt und fest in seinem Bett fixiert. Auf die Idee, daß man als PaddlerIn störend in die Flußökologie eingreifen könnte, kommt hier niemand mehr. Aber auch die Größenverhältnisse haben sich geändert: Die Lahn trennt nun die Gebirgszüge von Taunus und Westerwald, die Berge werden immer höher, der Fluß immer breiter – hier befindet man sich im Gravitationsfeld des Motorsports: Aus den kleinen Anlegestellen des Mittellaufs sind richtige Hafenanlagen geworden. Große Kajütboote und Nobelyachten liegen hier vor Anker, lassen das eigene Boot wie eine Nußschale wirken.

Gewässerschützer wie Winfried Klein betrachten die „Yachties“ als entscheidendes Hindernis für den Rückbau der Lahn zu einem naturnäheren Fluß: Es sei „dem Einfluß dieser kleinen Nutzerelite zuzuschreiben, daß auch nach Einstellung der Güterschiffahrt keine Unkosten gescheut werden, den Fluß schiffbar zu halten“, sagt er. Er hoffe jetzt auf den Bundesrechnungshof, der auf diese „Verschwendung von Steuergeldern“ längst aufmerksam geworden sei.

Tatsächlich läßt das Koblenzer Wasser- und Schiffahrtsamt die Unterlahn noch immer munter ausbaggern und befestigen. Acht Millionen Mark kostet das im Jahr, weitere Millionen verschlingt der Betrieb der hier beginnenden elektrischen Großschleusen, in denen jedes Jahr mehr als 50.000 Motorboote gebührenfrei geschleust werden. Neben der besitzenden Klasse der Freizeitkapitäne fühlt sich der Paddler als lästiger Eindringling. Wenn das Wasser abzufließen beginnt, sinkt man in einen modrigen Schacht. Von der Außenwelt ist nun nur noch ein rechteckiger Himmelsausschnitt zu sehen, von dem aus der Schleusenwart wie auf eine Zwergenversammlung hinabschaut. Als AktivsportlerIn der neunziger Jahre fühlt man sich hier nicht mehr.

Informationen über touristische Möglichkeiten auf und an der Lahn erteilt die „Lahntal Kooperation“ c/o Freizeitregion Lahn-Dill e.V., Karl-Kellner-Ring 51,

35576 Wetzlar.

Literatur: Elisabeth Regge,

„Das neue Lahnbuch“,

ISBN 3-980 1594-0-6, 21,80 DM;

Heinz W. Meckel, „Ein Führer für Wasserwanderer“,

ISBN 3-980 2313-1-3-, 17,70 DM

(noch nicht auf dem Stand der Auenschutzverordnung).