■ Im Namen des Volkes: Das Volk hat Unsinn beschlossen
: Weniger Demokratie in Bayern

Der bayerische Verfassungsgerichtshof hat ein reichlich verkümmertes Demokratiebewußtsein. Da stimmten die bayerischen Wähler 1995 in einem landesweiten Volksentscheid dafür, daß sie in ihren Gemeinden Bürgerbegehren nach dem basisdemokratischen Schweizer Vorbild wollen. Eine lasche Alternative der CSU-Landtagsfraktion lehnten die Bürger ab. Und was tun die Verfassungsrichter heute? Sie schmeißen das Bürgervotum von 1995 in den Papierkorb des Justizpalastes und ordnen Regelungen an, die aus den CSU-Presseerklärungen von 1995 abgeschrieben sein könnten. Implizites Motto der ganzen Aktion: „Im Namen des Volkes verkünden wir, daß das Volk Unsinn beschlossen hat.“

Der Kernsatz der Begründung des Urteils ist grotesk: Bürgerentscheide dürfen das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden „im Kern nicht einschränken“, meinen die Richter. Wer so argumentiert, hält einen Bürgerentscheid für ein Sandkastenspiel, das keine Wirkung haben darf. Wer so denkt, sollte Bürgerentscheide am besten gleich ganz abschaffen. Wer so urteilt, beweist, daß eine Gemeinde für ihn nur aus den Gemeinderäten besteht, deren Macht zu schützen ist. Daß es auch Bürger gibt, die zum Selbstverwaltungsrecht ebenfalls etwas beizutragen haben, paßt natürlich nicht in ein derart obrigkeitsstaatliches Hirn. Daß das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden keinen Verfassungsrichter mehr kümmert, sobald es um Autobahnen, Atomkraftwerke oder andere Großprojekte geht, sei nur nebenbei erwähnt.

Doch das Urteil ist nicht nur eine Frechheit gegenüber den Bürgern, es ist politisch naiv. Denn seit 1995 hat es in Bayern über 200 Bürgerbegehren gegeben, ohne daß die Gemeinden dadurch „lahmgelegt“ worden wären. Frühere Kritiker wie der bayerische Gemeindetagschef gestehen heute zu, daß die Bürger verantwortungsbewußt mit dem neuen Instrument umgehen. Sogar ein Vertreter des bayerischen Innenministeriums gab bei der Gerichtsverhandlung zu, daß er das Gesetz für akzeptabel hält. Nur ein paar Richter lassen 1997 ihre Phantasie spielen und verhindern „lähmende“ Entwicklungen, die es nur als Szenarien in ihren Juristenschädeln gibt.

Die Initiative „Mehr Demokratie in Bayern“ will nun ein neues Volksbegehren starten, um den Richterspruch zu korrigieren. Recht hat sie. Das Urteil ist politisch dumm und unerträglich undemokratisch. Felix Berth