„Im Besprechungsraum der Mafia“

■ Christian Pfeiffer, Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Hannover, hält den Lauschangriff für nötig

taz: War das gestern ein wichtiger Tag für die Verbrechensbekämpfung in Deutschland?

Christian Pfeiffer: Nein, das würde die Bedeutung des Lauschangriffs überschätzen.

Der Lauschangriff wird überschätzt?

Ja, weil er nur in wenigen Fällen den Durchbruch bringt. Die Debatte in Deutschland hat einen falschen Eindruck erweckt, daß man die organisierte Kriminalität im Griff hat, wenn man das Abhören einführt. Das ist aber nicht der Fall.

Warum braucht man dann überhaupt den Lauschangriff?

Ich habe vor Jahren eine Untersuchung in den USA gemacht: Die spannende Erkenntnis ist, daß der Lauschangriff in den USA höchst selten eingesetzt wird, um die hundertmal pro Jahr. Aber mit Hilfe des Abhörens ist es in den USA immer wieder gelungen, ganze Netzwerke organisierter Kriminalität aufzudecken. Nämlich immer dann, wenn die Polizei eine Wanze in den Besprechungsräumen der Mafia plazieren konnte.

Aber hat nicht gerade die Mafia die technischen Möglichkeiten, Wanzen aufzuspüren?

Es läuft in der Tat ein Wettrüsten der Technik. Bis jetzt aber konnte die Polizei immer Erfolge verbuchen. Außerdem entsteht ein falscher Eindruck: Die Bürger sind zu Unrecht verängstigt, wenn sie glauben, der Lauschangriff würde nun tausendfach genehmigt werden. Für Deutschland gehe ich von 30 Fällen pro Jahr aus.

Und dafür wird das Grundgesetz geändert?

Das Grundgesetz wird zu Recht geändert, sofern man rechtsstaatliche Kontrollen einführt, um einen Mißbrauch auszuschließen. Lauschangriffe sind zwar selten, aber nicht bedeutungslos. Damit kann man die großen Verbrechen verhindern.

Läßt sich ausschließen, daß Unverdächtige abgehört werden?

Unverdächtige werden automatisch abgehört, das ist unvermeidbar. Das muß man in Kauf nehmen. Aber zufrieden bin ich mit der ausgehandelten Lösung nicht. Bislang fehlt eine ausreichende Regelung über die Berichterstattung durch Richter.

Das Abhören wird in Deutschland zu leicht gemacht?

Entschieden. Vor allem im Telefonbereich ist das im rechtsstaatlichen Sinn unerträglich. Bei uns kann unter Umständen ein Familienrichter am Wochenende, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hat, eine Unterschrift leisten. Dann wird munter abgehört und kein Mensch, nicht einmal die Regierung erfährt, was dabei herausgekommen ist. Wenn das nicht besser geregelt wird, bin ich in Sorge. Interview: Nicol Ljubic