Warnen, sühnen, resozialisieren?

■ Immer weniger Verbrecher kämen ins Gefängnis, sagt Amtsrichter Roland Schill. Justizsenator Wolfgang Hoffmann-Riem führt eine neue Form der Freiheitsstrafe ein, die elektronische Fußfessel. Und die CDU fordert, der Kriminalität mit härteren Strafen den Kampf anzusagen. Gefängnis soll warnen, sühnen, aber auch resozialisieren. Doch was leistet die Strafe wirklich? Die taz fragte eine Gefängnisleiterin, einen Insassen und eine Beraterin für Vergewaltigungsopfer

Dem Volksmund zufolge bestraft der Herrgott kleine Sünden sofort, für die großen scheint er nicht zuständig zu sein. Um die muß sich der Mensch selbst kümmern. Entsprechend entwickelten Gesellschaften unterschiedliche Systeme der Reaktion auf Regelübertretungen. Die härteste Maßnahme in der BRD ist der Freiheitsentzug.

Die Freiheitstrafe soll dem Betroffenen verdeutlichen, daß er oder sie eine bestimmte Grenze überschritten hat. Gleichzeitig dient der Entzug der Freiheit dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Dieser Schutz ist allerdings mehr als gefährdet, wenn man Menschen im Gefängnis für die Dauer ihrer Strafe nur verwahrt und ihnen keine Hilfen für die Zeit nach der Haft an die Hand gibt. Deshalb ist im Strafvollzugsgesetz die Resozialisierung der Insassen gleichberechtigtes Ziel geworden. Nur wer soziale und fachliche Kompetenzen hinzugewinnt, hat die Chance, das Leben nach dem Gefängnis anders zu gestalten.

Doch diese Kompetenzvermittlung kostet viel Mühe, Kraft und nicht zuletzt auch Geld. Das kriminalpolitische Klima der letzten Jahre scheint dahin zu gehen, diese investierten Kosten als verschwendete Aufwendungen zu verstehen. Tatsächlich sehen die Erfolgszahlen des Strafvollzuges insgesamt nicht sehr gut aus. Überall dort jedoch, wo man in kleinen Einheiten intensiv mit den Insassen arbeitet und sie die Möglichkeit erhalten, sich und ihre Fähigkeiten zu erproben, sehen die Ergebnisse besser aus.

Doch Drogenproblematik und Überfüllung der meisten Haftanstalten vereiteln die Umsetzung behandlungsorientierter Konzepte. So richtet die Zeit in der Haft nach wie vor bei vielen eher Schaden an, als daß sie nutzt. Die Erkenntnis, daß der beste Opferschutz eine solide Arbeit mit den Tätern und Täterinnen ist, muß Leitlinie der täglichen Arbeit im Strafvollzug bleiben. Wenn dafür jedoch nicht die nötigen Ressourcen vorhanden sind, wird Freiheitsstrafe auf einen Vergeltungskern reduziert, der weder für die Betroffenen noch für die Gesellschaft gute Folgen hat.

Wer angesichts der großen sozialen Probleme, zu denen auch Aggression und Übergriff zählen, glaubt, man müsse nur die Gefängnisse vollstopfen und schon sei das Problem gelöst, hat sich nicht ernsthaft mit der Kriminalitäts- und Strafvollzugsdiskussion befaßt. Soziale Probleme allein über das Recht lösen zu wollen verspricht keinen Erfolg. Hier sind Sozial- und Arbeitsmarktpolitik gefordert, aber das ist leider ein alter Hut. Hilde van den Boogaart

Der „Notruf für vergewaltigteFrauen und Mädchen“fordert Strafe für gewalttätige Männer wie Vergewaltiger. Auch Gefängnisstrafen. Für die betroffenen Frauen ist das die einzige Möglichkeit, die Übernahme von Verantwortung durch den Täter legal einzufordern. Wiedergutmachung kann allerdings nicht das Ziel dieser Strafe sein; eine Vergewaltigung ist durch die Verurteilung des Täters nicht wiedergutzumachen.

Gewalt gegen Frauen wird in ihrem Ausmaß und den Folgen für die Frau bagatellisiert. Die Schwere der Traumatisierung wird bei der Zeuginnenaussage vor Gericht nicht berücksichtigt. Täter werden freigesprochen oder zu geringen Haftstrafen verurteilt. Die Tat wird unter Umständen von der Staatsanwaltschaft nicht einmal zur Anklage erhoben. In 17 Jahren Notrufarbeit ist dem Notruf noch nicht begegnet, daß der für das Delikt vorgesehene Strafrahmen ausgeschöpft wurde. Eine Entschädigung der Frau – in finanzieller Hinsicht oder durch Anspruch auf Therapie – ist nicht selbstverständlich, sondern muß von ihr im Einzelfall erstritten werden.

Strafe regelt das gesellschaftliche Miteinander dann, wenn der Rechtsfrieden gestört ist, indem eine Regel, die sich die Gesellschaft gegeben hat, überschritten wurde. Durch die Verurteilung des Täters einerseits und die Entschädigung des Opfers andererseits würde die Norm, gegen die verstoßen wurde, erkennbar. In anderen Rechtssystemen ist die Entschädigung des Opfers selbstverständlicher Bestandteil.

Der juristische Umgang mit der Thematik „Vergewaltigung“dokumentiert die Unschärfe der gesellschaftlichen Regel, die diese Gewalt gegen Frauen verbietet. Die konsequente Anwendung der Strafprozeßordnung und eine reformierte und zugunsten der Frau verbesserte Opferschutzgesetzgebung könnten bewußtseinsfördernd wirken.

Dennoch garantiert die rechtlich verordnete Einhaltung und Reproduktion von Normen nicht eine Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse. Darum müssen mehr Mittel für Präventivmaßnahmen bereitgestellt werden, die auf eine Veränderung gesellschaftlicher Ursachen sexualisierter Gewalt abzielen. Gudrun Ortmann

Die Gefängnisse sind überfüllt, und der praktizierte Strafvollzug hat mit dem liberalen Ruf, den er immer noch genießt, längst nichts mehr zu tun. Er ist Verwahrvollzug, Wegschließen auf Zeit, ohne daß gemeinsam mit den Gefangenen auch nur im Ansatz an einer Zukunftsperspektive gearbeitet würde.

Die Realität in den Knästen sieht nämlich so aus: Ausbeutung bei einem Tages-“Lohn“ von neun Mark, mangelnde medizinische Versorgung, Drogen und eben keinerlei Entlassungsvorbereitung. Die amtliche Statistik weist eine Rückfallquote von 82 Prozent aus, und die Zustände in den Knästen werden diese eher noch erhöhen. Die Politiker haben daraus nichts gelernt. Gegen alle Erfahrungen aus den vergangenen zwanzig Jahren kommen jetzt wieder Politiker mit den Rezepten aus der Mottenkiste an, sie rufen laut nach Law-and-Order, höheren Mauern und mehr Bestrafung – wider besseres Wissen.

Einsperren, Wegsperren ist keine Lösung. Wer weniger Kriminalität will, muß zunächst sein Augenmerk auf die sozialen Verhältnisse richten, auf die Frage, warum jemand Straftaten begeht und was dies mit den gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun hat.

Die beste Kriminalitätsvorbeugung besteht immer noch darin, sozial gerechte, menschenwürdige Lebensbedingungen zu schaffen. Nicht eben zufällig befinden sich in den Knästen vor allem die, die sich bisher eher am unteren Rand der Gesellschaft befanden, ohnehin kaum eine Chance hatten, legal und zugleich menschenwürdig zu leben.

In den Knästen sitzen nicht vor allem Mörder, Räuber oder Vergewaltiger – auch die gibt es natürlich –, sondern hauptsächlich Menschen, die wegen Eigentumsdelikten oder gefährlichen Verbrechen wie Ladendiebstahl, Schwarzfahren oder Verstoßes gegen die Ausländergesetze weggesperrt wurden. Diese Menschen wegzuschließen statt sie sozial zu integrieren, löst nicht nur nichts, sondern ist der Ausdruck einer Ellenbogengesellschaft, in der der am meisten zählt, der „etwas hat“und sich etwas leisten kann“.

Und während die Zustände in den Knästen vor der Öffentlichkeit verborgen werden, wirft der Justizsenator immer neue Pseudo-Rezepte wie elektronische Fußfesseln, Privatisierung der Gefängnisse oder Schnellverfahren unters Volk, statt endlich eine Diskussion über die herrschende Praxis von Strafe zu führen. Jens Stuhlmann