■ Die Kurdistan-Solidarität in Deutschland krankt an der unkritischen Haltung vieler Initiativgruppen zur PKK
: Naive Revolutionsromantiker

Join the winning side – unter diesem Motto sollte der Friedenszug „Musa Anter“ von Brüssel ins kurdische Diyarbakir reisen, sollte ein Zeichen setzen für eine friedliche Lösung im Kurdenkonflikt in der Türkei. Der Zug landete auf dem Abstellgleis. Kaltgestellt durch die Deutsche Bundesbahn und Innenminister Kanther. Aus dem Friedenszug wurde eine Schar Flugreisender, die sich an den Aktivitäten zum gestrigen Antikriegstag in der Türkei beteiligten.

Das Scheitern des Friedenszuges ist symptomatisch für das Dilemma, in dem sich die deutsche Türkei- und Kurdistan-Solidarität befindet. Sie kommt erst gar nicht in Fahrt. Nötiger ist sie mehr denn je: Über 30.000 Tote hat der blutige Konflikt in den kurdischen Provinzen der Türkei gekostet, Millionen Menschen wurden aus der Heimat vertrieben und ganze Landstriche entvölkert. 13 Jahre nach Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen ist eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts kaum in Sicht. Zu sehr haben sich die Falken auf beiden Seiten mit dem Konflikt arrangiert, von dem Konflikt profitiert. Der jahrelange schmutzige Krieg in den kurdischen Gebieten hat nicht nur die Wirtschaft des Landes ruiniert, durch ihn degenerierte auch das politische System in der Türkei zu einer mafiosen Demokratur.

Gerade in einer solchen Situation gilt es um so mehr, die friedlichen und demokratischen Kräfte im Land zu unterstützen, den außenpolitischen Druck für demokratische Reformen und zur Einhaltung der Menschenrechte zu erhöhen. Die Bundesrepublik als eines der wichtigsten Partnerländer der Türkei hätte die Möglichkeit durchaus. Doch die Bundesregierung übt sich in diplomatischer Zurückhaltung, ja macht sich, wie jüngst Innenminister Kanther mit dem Einreiseverbot für den Friedenszug nochmals demonstrierte, zum verlängerten Arm der türkischen Minderheitenpolitik.

Doch auch die Opposition verhält sich zurückhaltend, die Kurdistan-Solidarität kommt selten über den Kreis der immer gleichen UnterzeichnerInnen hinaus. Daran hat auch die Unterstützung für den Friedenszug „Musa Anter“ nichts geändert. Sicherlich war er keine „PKK-Werbeveranstaltung“, wie Kanther die Initiative diffamierte, von einer breiten Solidarität kann jedoch auch keine Rede sein.

Warum bleibt die Kurdistan-Solidarität, warum bleiben die Initiativen für eine friedliche Lösung des Konfliktes in diesem Land so eigentümlich verhalten, so verfangen im eigenen Sumpf? Eine halbe Million Kurdinnen und Kurden in Deutschland, die engen Verflechtungen der Bundesrepublik mit der Türkei bieten Ansatzpunkte und Bezüge genug. Doch schon immer hat die Nähe zu den Betroffenen die internationalistisch Bewegten in Deutschland eher irritiert als befördert. Und mit den Jahren haben die täglichen Meldungen über Tote und Verletzte in den kurdischen Kriegsgebieten ihren Neuigkeitswert verloren, tauchen allenfalls noch als Randmeldungen in den Tageszeitungen auf.

Auch das PKK-Verbot hat das seine bewirkt: Statt die gewalttätigen Kader zu isolieren und zu bremsen, werden auch friedliche und demokratische Proteste gegen das Vorgehen der türkischen Regierung und Armee kriminalisiert. Obwohl PKK-Führer Öcalan schon längst seinen Frieden mit der Bundesregierung gemacht hat, Rechtsaußen wie Heinrich Lummer (CDU) bei ihm ein und aus gehen und die Bundesanwaltschaft in den Kurdenprozessen mit PKK- Unterhändlern dealt, gelten diese Restriktionen fort.

Doch das größte Dilemma der Kurdistan-Solidarität ist hausgemacht: ihre Fixierung auf die PKK. Zu oft verwechseln die deutschen Revolutionsromantiker die Solidarität mit KurdInnen mit der Solidarität mit der PKK. Daß diese selbst Teil des Problems ist, wird in diesen Kreisen nur selten begriffen. Doch spätestens seit den politischen Morden an PKK-Kritikern wie Kürsat Timuroglu 1986 sollte auch der deutschen Linken die Realiltät dieser Partei bekannt sein. Es verwundert schon, wie achselzuckend mancher Kurdenfreund, der sich sonst vehement auf die Einhaltung der Menschenrechte und demokratischer Spielregeln beruft, auf die schonungslose Kritik selbst von ehemaligen PKK-Verantwortlichen wie Selim Cürükkaya an der PKK und ihrem Führer Öcalan reagiert. Es herrsche eben Krieg, ist die Standardantwort auf Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen durch die PKK und den stalinistischen Führungsstil ihres Vorsitzenden. Statt sich mit den Inhalten dieser Kritik auseinanderzusetzen, wird in den Solikreisen Bibelexegese mit den Schriften und Worten von „serok“ Apo, dem Führer, betrieben – hat er es nun so gesagt oder nicht? Kein Wunder, daß sich der Mann in Damaskus schon mit Jesus vergleicht.

Das Schweigen zu den Vorwürfen gegen die PKK diskreditiert nicht nur die deutsche Kurdistan- Solidarität, sie schwächt und lähmt eine echte Solidarität mit der kurdischen Bevölkerung und den DemokratInnen in der Türkei. Längst hat sich unter dem Druck der Verhältnisse in den kurdischen Gebieten der Türkei eine differenzierte Realität, haben sich neben der PKK auch andere Kräfte herausgebildet, mehr als es manche deutsche Kurdenfreunde wahrhaben wollen.

Doch nicht nur in der Bundesrepublik beharrt die PKK auf ihrem Alleinvertretungsanspruch und wird durch deutsche Sympathisanten noch darin unterstützt. So endet manche hoffnungsvolle Initiative in Instrumentalisierungsversuchen, werden die Namen der UnterstützerInnen unter einem Aufruf wichtiger als sein Inhalt. Wenn medico international, wie vor einiger Zeit geschehen, einer Kampagne zum Schutz von Journalisten in der Türkei, deshalb die (finanzielle) Unterstützung entzieht, weil diese auch den Mord an Journalisten durch die PKK erwähnte, dann ist dies eben kein Beitrag zur Solidarität.

Ohne eine Auseinandersetzung mit der Kritik an der PKK, ohne eine deutliche Distanzierung von deren menschenverachtenden Vorgehen, wird es keine breite Solidaritätsbewegung geben. Klar ist: Ohne die PKK wird es keine friedliche Lösung geben. Klar ist aber auch: Mit dieser PKK wird es keine demokratische Lösung geben. Die Blindheit mancher Kurdistanbewegter auf dem PKK-Auge, der Alleinvertretungsanspruch einer Partei verhindern nicht nur Glasnost und Perestroika in der PKK, sondern auch, daß endlich die Stimmen unter den KurdInnen Gehör finden, die einer friedlichen und demokratischen Lösung den Weg ebnen würden. Allein deshalb lohnt die Auseinandersetzung. Cem Özdemir