Der Weg zum Sieg führt über Leichen

Mit Gewalt, Einschüchterung und selektiven Dialogangeboten überlistet Kenias Regierung die Reformbewegung, die die Korruption beenden und zum ersten Mal faire Wahlen durchsetzen will  ■ Aus Nairobi Peter Baumgartner

Ich verspreche nichts“, sagt Charity Ngilu. „Versprechen sind Ballast für den Gewählten und schaffen Abhängigkeiten.“ Und doch, die 45jährige Charity Kaluki Ngilu wird sich fast jeden Tag untreu, denn sie ist fest entschlossen, Kenias Staatspräsidenten Daniel arap Moi bei den kommenden Wahlen aus dem Sattel zu heben. „Wenn ich gewinne“, pflegt sie bei ihren Auftritten zu sagen, „verkaufe ich das Präsidentenflugzeug.“ Und nach dem Applaus fügt sie hinzu: „Das Flugzeug kostete 50 Millionen Dollar. Wißt ihr, wie viele Schulbücher man mit diesem Geld hätte kaufen können? Oder Malariatabletten? Oder Wasserleitungen?“

Charity Ngilu ist früh dran. Noch ist kein Wahltermin bekannt – irgendwann dieses Jahr wird es sein. Nur die neue Reformbewegung hat präzise Vorstellungen: Die Wahlen sollen erst stattfinden, wenn institutionelle Verbesserungen eine freie und faire Durchführung versprechen. „Keine Reformen, keine Wahlen“ heißt ihre Devise. Noch als die Teilnehmer der jüngsten Großdemonstrationen vor den schlagenden Polizisten davonrannten und sich mit Taschentüchern gegen das Tränengas zu schützen versuchten, skandierten sie diesen Spruch. Und möglicherweise verhallt er nicht ganz wirkungslos.

Es scheint, als arbeite die Zeit für Charity Ngilu. Kampf gegen die Korruption heißt ihr Wahlthema. Hier ist die auf Ausgleich bedachte Parlamentarierin hart im Ton: „Korruption ist ein Krebsübel unseres Landes. Wenn die Spitze korrupt ist – und das ist sie –, legitimiert das schlechte Beispiel alle Ebenen des Staates und Privatleute, gleichzuziehen.“

In diesen Tagen erschüttert der „Zuckerskandal“ das Land. Einige tausend Tonnen Zucker wurden im Transit für andere ostafrikanische Länder importiert, waren somit formal von Gebühren befreit. Nun blieb der Zucker aber in Kenia, so daß Zoll gezahlt wurde. Die Zolleinnahmen von umgerechnet rund 14 Millionen Mark wanderten nicht in die Staatskasse. Aufgrund minutiöser Nachforschungen der Medien ist davon auszugehen, daß das Geld in die Taschen der Regierungspartei KANU floß. Die ist derzeit dabei, Mittel für den bevorstehenden Wahlkampf auf die hohe Kante zu legen, um da und dort mit schnell realisierbaren Wohltaten – Bau von Schulen, Straßen oder Krankenstationen – den Boden zu sichern.

„Präsident Moi und seine KANU wollen unter allen Umständen an der Macht bleiben“, sagt Oppositionsparlamentarier James Oreng. „Macht bedeutet Einfluß, heißt von Pfründen zu profitieren und sie vergeben zu können.“ Der im Auftreten kluge und unerschrockene Abgeordnete gab der Regierung zwei Wochen: Entweder ahnde sie das Delikt, oder er werde die fünf mutmaßlichen Zuckerschieber selber privat anklagen. Am letzten Tag des Ultimatums wurde ein Verfahren eingeleitet.

Hinzu kommt, daß zwischen dem Zuckerhandel und der Gewalt an der Küste um die Stadt Mombasa Parallelen gezogen werden. Für die Zeitschrift The People sind beides Beispiele „skrupelloser Machtsicherung“. Nach bisherigen Ermittlungen sind in die wiederholten Überfälle in der Küstenregion, die bisher an die fünfzig Todesopfer gefordert haben, lokale KANU-Größen verwickelt. Die wahren Drahtzieher sind nach wie vor nicht bekannt. Zeugenaussagen und Flugblätter belegen hinlänglich, daß Zuzügler aus anderen Regionen Kenias vertrieben werden sollten. Sie neigen nämlich eher zur Opposition und gefährden damit die traditionelle KANU-Mehrheit an der Küste.

Die Rechnung scheint gerade in diesen Tagen aufzugehen. Hunderttausend Menschen sind inzwischen aus Angst vor weiteren Angriffen von Randalierern und den ebenso gefürchteten Polizeisondereinheiten geflohen und haben ihre Wohn- und Arbeitsorte in Mombasa und anderen Siedlungen in der Küstenregion verlassen.

Kenias Reformbewegung ist angesichts solcher Vorgänge angeschlagen. Sie entstand ja als Zweckverband aus Kirchen, Bürgerrechtsgruppen und Oppositionsparteien, mit Delegierten aus allen Schichten und Teilen Kenias, vereint nur im Ziel, ordentliche Wahlen herbeiführen zu wollen durch die Anpassung verschiedener Gesetze und eine Verfassungsänderung. Die breite Abstützung ist ihre Stärke – und ihre Schwäche.

Es fehlt nicht an Forderungen. Es sind die altbekannten, die schon vor den letzten Wahlen 1992 erhoben wurden. Damals vertröstete Präsident Moi auf die Zeit nach den Wahlen. Es blieb beim Versprechen. Womöglich wäre die Reformbewegung, die im April ihr Grundsatzpapier verabschiedet hatte, jetzt ins Leere gelaufen, wäre die Polizei bei den Kundgebungen im Juni und Juli nicht so rabiat vorgegangen, daß westliche Botschafter in seltener Einmütigkeit die Regierung ermahnten, die Bürgerrechte zu respektieren und die Reformdiskussion aufzunehmen. Dann blies auch der Internationale Währungsfonds (IWF) ins gleiche Horn und kündigte seine Kredite. In dieser Woche wird verhandelt, unter welchen Bedingungen sie wieder lockergemacht werden. Good governance ist darunter, also eine saubere Regierung.

Für die KANU steht also in bezug auf die Reformbewegung fest, daß „das Ausland diese Leute steuert und bezahlt und sich so in die Belange Kenias einmischt“, wie es KANU-Generalsekretär Joseph Kamotho formuliert. Am Samstag warf Präsident Moi gar ausländischen Staaten vor, aktiv auf einen Umsturz in Kenia hinzuarbeiten.

Wenige Tage nach den Protestveranstaltungen, bei denen über ein Dutzend Menschen ums Leben gebracht wurden, führte Moi Gespräche mit den Spitzen der Kirchen, die in der Bewegung die treibende Kraft sind. Aber dann setzten sich die KANU-Hardliner durch. Fortan, so heißt es seitdem, wird nur mit gewählten Volksvertretern verhandelt, also mit den Parlamentsabgeordneten der Opposition. Die Reformbewegung habe kein Mandat des Volkes.

Aber die meisten Oppositionsparteien hatten sich von der seit Jahren laufenden Reformdiskussion ferngehalten und sprangen erst im April auf den fahrenden Zug. Plötzlich wurde der Ruf nach Neuerungen zum verbindenden Netz innerhalb der Opposition, die sich in den vergangenen fünf Jahren ansonsten unerbittlich bekämpft und durch wechselseitige Anschuldigungen und Abspaltungen gelähmt hatte.

36 Parlamentarier der Opposition nahmen den Ruf der KANU auf. Viele von ihnen betrachteten nämlich die Reformbewegung mit gewisser Eifersucht und Mißtrauen und waren über ihre eigene erfolglose parlamentarische Arbeit zutiefst frustriert. „Es war ein seltenes Erlebnis, einmal mit KANU-Leuten direkt reden zu können, von ihnen angehört zu werden und mit ihnen Kaffee zu trinken“, erzählt ein Teilnehmer.

Damit haben die KANU-Strategen ihr Ziel erreicht. Die Reformbewegung ist gespalten. Zumindest ist ein Teil der parlamentarischen Opposition aus ihr herausgelöst. Präsident Moi hat Zeit gewonnen, der IWF hat eine Demonstration der Gesprächsbereitschaft erhalten. Gibson Kauma Kuria, einer der führenden Reformer, warnt allerdings vor schnellen Schlüssen. „Unsere Bewegung hat vielleicht ein paar Politiker verloren, aber nicht die Unterstützung breiter Bevölkerungskreise“, sagt er. Vorsichtig positive Reaktionen der Kirchen scheinen ihm recht zu geben.

In den nächsten Wochen wird das Parlament sich nun mit einer eilends vorgelegten Reform einiger Gesetze unter anderem zur inneren Sicherheit befassen, die noch aus der Kolonialzeit stammen und von denen einige im Visier der Reformbewegung standen. Aber damit sind deren Ziele bei weitem nicht erfüllt. Ob die Änderungen noch vor der Wahl in Kraft treten, ist offen.

„Machtspiele sind das“, meint Charity Ngilu, die auch zu den „Verrätern“ gehört und den Dialog mit der KANU suchte. Man müsse unter allen Umständen das Gespräch suchen, um Schlimmeres zu verhindern, begründet sie das. „Das haben mich meine Erfahrungen gelehrt.“ Ihre Erfahrungen kommen aus der Fabrik für Wasser- und Stromleitungen, die sie gegründet hat und bis heute leitet.

In ihrem Büro in Westlands, einem Außenviertel Nairobis, hängt kein einziges Plakat. Nichts deutet auf einen Wahlkampf hin. Wartet sie darauf, wie sich die anderen Politiker entscheiden? Die kleine Sozialdemokratische Partei hat Ngilu, Mitglied der Demokraten, bereits als Präsidentschaftskandidatin nominiert, aber die drei großen Oppositionsparteien – Demokraten, Ford-Kenya und Ford- Asili – diskutieren noch über einen gemeinsamen Kandidaten, und bei diesen Gesprächen ist Ngilu nicht dabei. „Dazu äußere ich mich nicht“, sagt Charity Ngilu und lacht schallend. „Ich kandidiere, was auch immer geschieht.“