Mexikos PRI in ungewohnter Minderheit

Im neuen mexikanischen Parlament hat die Opposition ihre Mehrheit auch in den Ausschüssen durchsetzen können. Die regierende PRI protestiert – und gibt klein bei  ■ Aus Mexiko-Stadt Gerold Schmidt

Nach großen Turbulenzen und einer Beinahe-Verfassungskrise war das Finale erstaunlich ruhig. Als am Montag der mexikanische Präsident seinen traditionellen jährlichen Bericht zur Lage der Nation abgab, antwortete ihm erstmals nach 68 Jahren absoluter Herrschaft der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) ein Politiker aus den Reihen der Opposition. Der symbolhafte Charakter dieses Ereignisses wurde allgemein als wichtiger angesehen als der Inhalt von Präsident Ernesto Zedillos Rede und die Replik des Parlamentspräsidenten Porfirio Muñoz Ledo von der Partei der Demokratischen Revolution (PRD). Nur wenige Stunden zuvor war sichergestellt worden, daß die Abgeordneten und Senatoren der PRI dem Bericht des Präsidenten überhaupt beiwohnen würden.

Die Parlamentswahlen vom 6.Juli dieses Jahres verschafften der Opposition aus der linken Partei der Demokratischen Revolution (PRD), der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) sowie den wenig profilierten kleinen Fraktionen der Grünen (PVEM) und der Partei der Arbeit (PT) im Abgeordnetenhaus eine rechnerische Mehrheit von 261 zu 239 Stimmen gegenüber der PRI. Trotz der ideologischen Differenzen traf die Opposition vor zwei Wochen unerwartet Vereinbarungen über eine neue Geschäftsordnung für das zukünftige Parlament und teilte wichtige Kommissionsposten unter sich auf.

Die PRI als immer noch mit Abstand größte Fraktion reagierte mit wütenden Protesten. Vermittlungsbemühungen scheiterten ebenso wie der Versuch, den heterogenen Oppositionsblock zu spalten. Daraufhin boykottierte die Regierungspartei unter Hinweis auf Verfassungsbrüche die konstituierende Parlamentssitzung am vergangenen Samstag, zu der sie selbst Tage zuvor mit aufgerufen hatte. Am Sonntag kündete die noch bestehende PRI-Mehrheit im Senat an, nicht zum Regierungsbericht des Präsidenten zu erscheinen und damit dem mexikanischen Kongreß Legitimität zu entziehen – aber das dauerte nicht lange. Innerhalb weniger Stunden vollzog die Regierungspartei „zum Wohle der Nation“, so ihr Fraktionschef, eine Kehrtwende, offenbar nach einem Machtwort ihres Präsidenten Zedillo. Die PRI-Abgeordneten nahmen am Montag morgen ihre Arbeit auf. Die PRI-Senatoren waren schließlich allesamt zur Stelle, als Ernesto Zedillo über sein drittes Amtsjahr Rechenschaft ablegte. Parlamentspräsident Muñoz Ledo ließ sich den Triumph kaum anmerken und bot der Regierung staatsmännisch den Dialog an.

So ungewöhnlich die Vorkommnisse für die mexikanische Politik nach der jahrzehntelangen Herrschaft einer Partei auch sind, sowenig läßt sich daraus für die politische Zukunft des Landes ableiten. Offenbar ist Präsident Zedillo zu einer Zusammenarbeit mit der Opposition bereit. Wie bei seinen beiden vorherigen Regierungsberichten bescheinigen ihm die meisten Kommentatoren in ersten Reaktionen auch diesmal fehlende Visionen.

Die parlamentarische Opposition startet gestärkt in die dreijährige Legislaturperiode. Möglicherweise wird sie noch weiteren Zulauf von abtrünnigen PRI-Abgeordneten bekommen. Denkbar ist aber auch, daß es der Regierungspartei gelingt, mit der Zeit so viele Parlamentarier der anderen Fraktionen auf ihre Seite zu ziehen, daß sie doch wieder eine absolute Mehrheit von mindestens 251 Mandaten im Parlament erreicht. Das Oppositionsbündnis ist auch nach der Einschätzung aus den eigenen Reihen weder auf ewig angelegt, noch basiert es auf ideologischen Übereinstimmungen. Ein Stück Geschichte hat der Pakt in Mexiko dennoch schon geschrieben.