„Ich spiele nicht den Helden“

Kate Adie, Chefkorrespondentin der BBC, arbeitet seit fünfzehn Jahren in den Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt. Ein Interview von  ■ Ulrike Helwerth

Kate Adie begann ihre Karriere als Inlandskorrespondentin der BBC in Nordirland. Seither sind gewalttätige und kriegerische Auseinandersetzungen ihr täglich Brot. So berichtete sie 1989 hautnah über das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Bejing. Nach ihrer Rückkehr wurde sie zur „Chief News Correspondent“ des BBC- Fernsehens ernannt. Sie erhielt zahlreiche namhafte Preise.

taz: Heißt über den Krieg zu berichten, in den Krieg zu ziehen?

Kate Adie: Meine Definition von Berichterstattung ist sehr altmodisch und sehr puritanisch: Man muß berichten, was man sieht und hört. Ich halte wenig davon, in Hotels herumzusitzen und mit Leuten in der Bar zu reden oder mit Taxifahrern. Für mich ist echte Reportage Augenzeugenschaft. Und dafür muß man sich nun einmal an den Ort des Geschehens begeben.

Haben Sie dabei manchmal Angst?

Schreckliche Angst. Ich kenne mindestens zehn Arten. Wer keine Angst hat, ist kein guter Reporter. Denn der begreift das Wesen des Krieges nicht: die Verbreitung vor Angst und Schrecken, um die andere Seite besser schlagen zu können. Ich bin keine sonderlich mutige Person. Ich habe als Kind mit Puppen gespielt, nicht mit Schwertern und Panzern.

Sie setzen also Ihr Leben nicht aufs Spiel für eine Exklusivstory?

Ich halte nicht viel von solchen Stories. Ich kenne Situationen, wo man plötzlich merkt, o Gott, wir sind die einzigen weit und breit hier. Das ist schlecht. Glücklicherweise passiert das selten. Ich halte wirklich überhaupt nichts davon, mein Leben in äußerste Gefahr zu bringen. Denn was nützt eine tote Reporterin? Ich gehe ja nicht dorthin, um den Helden zu spielen, sondern um die Story zurückzubringen. Das schärfe ich auch meinen Reportern ein. Natürlich gibt es immer eine Menge kalkulierte Risiken. In Bosnien war jeder Tag eins. Vor allem nachdem ich eines Tages in Sarajevo aufwachte und erfuhr, daß der Mann drei Hotelzimmer weiter von einer Granate getroffen worden war.

Können Frauen mit Angst oder Risiken besser umgehen? Manche Kriegsreporter treten selbst auf wie Krieger.

Sicher gibt es Journalisten, die vom Krieg fasziniert sind, so wie manche Soldaten auch oder ganz gewöhnliche Menschen, die Bücher über den Krieg lesen, Kriegsfilme anschauen. Frauen passiert das, glaube ich, weniger. Das ist eine Frage der Konditionierung, der jahrtausendealten Tradition. Frauen müssen sich normalerweise ihrem Geschlecht gegenüber nicht so beweisen. Ich sage das, weil im Krieg sich alles um die Gruppe, den Männerbund dreht. Da muß der eine so tapfer sein wie sein Nachbar. Das habe ich auch an männlichen Reportern beobachtet. Ich hingegen bin die erste, die hinter einem Baum in Deckung geht oder unter einen Tisch kriecht. Ich bin diesem Druck nicht ausgesetzt. In diesem Sinn sind Frauen vielleicht wirklich in der Lage, mit Angst pragmatischer umzugehen. Wenn sie allerdings beim Einschlag der ersten Granate losheulen, ist das schon ein Problem, dann schmeißt man sie raus, denn das Mädel kann nichts ab. Eine andere Beobachtung, die ich gemacht habe, ist, daß Frauen die Folgen des Krieges besser verstehen. Sie merken, daß es Kinder, Familien, Häuser trifft, daß der Stoff, aus dem das Leben besteht, zerstört wird. Frauen wie ich, deren Mütter oder Großmütter den Krieg erlebt haben, wissen das. Sie wissen, daß Frauen hinterher aufräumen müssen, Frauen sehen den Krieg nicht in Hinsicht auf Medaillen, Kampf und Helden, sie betrachten ihn in einem größeren Zusammenhang.

Berichten sie anders über Krieg?

Nein, ich glaube, daß erfahrene Berichterstatterinnen ähnlich wie ihre männlichen Kollegen arbeiten. Allerdings sind Männer total fasziniert von Kriegsgerät. Sie lieben Panzer, Flugzeuge, sie lieben Zahlen, technische Daten. Als Jungen haben sie mit ihren Spielzeugpanzern gespielt, und wenn sie dann die echten sehen, werden sie richtig aufgeregt. Die meisten Frauen langweilt das zu Tode. Das ist ein echter Unterschied. Ansonsten machen Frauen eine vergleichbare Frontberichterstattung wie Männer. Anders ist es bei Hintergrundgeschichten. Da zeigen sich Frauen mehr an sozialen und emotionalen Aspekten interessiert.

Oriana Fallaci hat nach ihren Erfahrungen als Kriegsreporterin in Vietnam einmal gesagt: „Es ist eine Illusion zu glauben, daß Frauen gegen Kriege sind. Kriege haben eine perverse Faszination. Im Krieg ist alles schrecklicher, gewaltiger...

...bedeutender. Das Leben bekommt mehr Größe und Bedeutung. Ich habe Leute aus der Generation meiner Großeltern und Eltern über den Zweiten Weltkrieg reden hören. Es gibt überhaupt keinen Zweifel, daß Millionen Menschen, was immer mit ihnen in jener Zeit geschah, das Leben als intensiver empfanden. Es war schrecklich, aber intensiv. Der Einzelne konnte das Gefühl haben, gebraucht zu werden. Und das ist wahrscheinlich das, was Oriana Fallaci meint: Die eigene Existenz bekommt eine Bedeutung, die sie in Friedenszeiten nicht besitzt.

Oriana Fallaci beschreibt eine Art Abhängigkeit vom Krieg. Sobald sie Vietnam verließ, überkam sie so etwas wie Heimweh, Sehnsucht zurückzukehren. Kennen Sie so ein Gefühl auch?

Nein, aber ich habe es bei anderen beobachtet. Ich habe keinen großen Drang, in den Krieg zu ziehen. Ich bin kein Kriegspferd, das im Stall steht und mit den Hufen scharrt. Ich interessiere mich für interessante Situationen, mich faszinieren Ausnahmesituationen, das stimmt. Vielleicht vergleichbar mit einem Geier, der mit den Flügeln schlägt, seinen Schnabel und seine kleinen scharfen Augen überall hineinsteckt. Menschen sind außergewöhnlich, sie tun außergewöhnliche Dinge, sie sind unglaublich beeindruckend. Und im Krieg wird dieses Potential gesteigert, auch in anderen Katastrophen, in Massenbewegungen, historischen Augenblicken. Aber ich sitze nicht zu Hause im Wohnzimmer mit kugelsicherer Weste und warte, bis ich endlich wieder in den Krieg ziehen kann, nein danke (lacht).

Trotzdem gehen Sie immer wieder hin.

Ich habe bei der BBC die Position der Chefkorrespondentin, und ich bestehe darauf, da ich in schwierigen Situationen möglichst niemand Unerfahrenes hinschicke, bevor ich mich nicht selbst vor Ort umgesehen habe. Ich übernehme die Führung, daran halte ich fest.

Auch wenn Kriegsreporterinnen inzwischen zahlreicher geworden sind, betreten Sie als Frau doch jedesmal wieder eine Machowelt. Macht das die Arbeit leichter oder schwieriger?

Fifty-fifty. Natürlich bleibt es eine Männerwelt, auch wenn es inzwischen in einigen Armeen auch Frauen gibt. Während des Golfkriegs trat ich als Berichterstatterin der britischen Armee bei. Ich war die einzige Frau an der Front unter zweitausend Soldaten, und da waren Schwierigkeiten nicht zu vermeiden. Nicht so sehr, was die Akzeptanz betrifft, sondern ganz praktische Dinge wie die Frage: Wo gehe ich zur Toilette? Ich verbrachte sechs Monate in der Wüste unter zweitausend Männern mit diesem Problem. Eine andere Sache erzählte mir einmal eine erfahrene amerikanische Korrespondentin. Sie war in Afrika während des Krieges zweimal vergewaltigt worden. „Glaub bloß nicht“, sagte sie, „daß du das so einfach abschütteln kannst, es hat mein Leben ruiniert. Ich konnte nie mit männlichen Kollegen darüber reden, denn sonst wäre meine Karriere beendet gewesen.“ Es ist also ganz wichtig, daß du dich als einzelne Frau nie in eine heikle Situation begibst ohne einen männlichen Freund oder Beschützer an deiner Seite, wie altmodisch und unfeministisch das auch immer klingen mag.

Eines Ihrer obersten journalistischen Prinzipien ist die Unparteilichkeit. Sind Sie je in Versuchung geraten, doch Partei zu ergreifen, eingreifen zu wollen?

Ich sehe meine Aufgabe darin, Informationen so genau und so schnell wie möglich abzuliefern, damit andere Menschen – eine demokratische Gesellschaft vorausgesetzt – entscheiden können, ob sie etwas dagegen unternehmen wollen oder nicht. Sobald ich als Journalistin einen Kreuzzug gegen den Krieg beginne, dann wird es Zeit, mit der Kriegsberichterstattung aufzuhören und in die Politik zu gehen.