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Nähe zur Wall Street

■ Total vernetzt in der Broad Street 55: New York fördert mit massiver Wirtschaftshilfe High-Tech und Multimediafirmen

Wenige Häuser neben der New Yorker Börse, an der Ecke Beaver Street, befindet sich seit Dezember 1996 das „New York Information Technology Center“, mittlerweile besser bekannt unter seiner Adresse, 55 Broad Street. „Just Plug In“ heißt es auf drei Meter langen Bannern über dem Eingang. Sonst weist nur eine überdimensionale Computermaus über den Drehtüren darauf hin, daß hier alles anders ist, als die nüchterne Fassade des 1967 errichteten Bürobaus vermuten läßt.

Vor zwei Wochen ist mit den streitbaren Journalisten Tom Watson und Jason Chervokas die Redaktion von „@NewYork“ in den 23. Stock eingezogen, die hier ihren Internet-Newsletter (www.news-ny.com) herausgibt. Vier Stockwerke drüber, in der 27. Etage, betreut IBM seine Homepage (www.ibm.com), während vom 3. Geschoß aus Sun Microsystems, die Entwickler der Computersprache Java, ihren Kundenservice (www.sun.com) betreiben. Das „Lower Manhattan Cultural Council“ hat Räume im Haus gemietet und sie „Thundergulch“, einer Vereinigung gemeinnütziger Kunstinitiativen, zur Verfügung gestellt (www.inch.com/~gstein/ thundergulch/). Sie lädt jeden Donnerstag zur Mittagszeit zu lunchtime@thewall mit neuer Web-Kunst.

Neues Leben in einer Rezessionsruine. In den siebziger Jahren befand sich hier die Zentrale der Investmentfirma Goldman, Sachs & Co. Mit Drexel, Burnham, Lambert zog später jene berüchtigte Investmentbank ein, die ihren Ruf mit einem jährlich stattfindenden „Ball der Fleischfresser“ feierte. Im Februar 1990 brachen ihre Geldanlagen zusammen, „Junk-Bond-König“ Michael Milken verließ das Gebäude in Handschellen.

Danach stand das Haus fünf Jahre lang leer. Die Rudin Management Corporation, ein New Yorker Familienunternehmen, das seit den zwanziger Jahren Geschäftshäuser in Manhattan baut und verwaltet, hatte es aus der Konkursmasse erworben. Rezession überall in den USA, die Mietpreise fielen ins Bodenlose, die Leerstände im „Financial District“ schnellten auf durchschnittlich 20 Prozent hoch.

Anfang 1993, kurz nach Bill Clintons Amtsantritt, erlebte das Börsengeschäft eine unerwartete Renaissance. Doch die ausgewanderten Broker zogen nicht mehr zurück. Die „Alliance for Downtown New York“ wurde statt dessen gegründet, von Kopfschmerzen geplagte Stadtplaner trafen sich mit den Repräsentanten einiger der größten Unternehmen der Stadt wie NYNEX (Telefongesellschaft), Con Edison (Elektrizitäts- und Heizkraftwerke) und IBM. Man wollte Kaliforniens Silicon Valley nach New York holen. Das Schlagwort der „Silicon Alley“, die quer durch Downtown, Tribeca, Soho und den Flatiron District führt, war geboren.

Das Parlament des Staates New York verabschiedete im Oktober 1995 den „Downtown Legislation Act“, der zeitlich befristete Grundsteuerreduzierungen bis zu 50 Prozent für Gebäudeeigentümer vorsah, die ihre Gewerbeflächen an High-Tech-Unternehmen vermieteten. Drei Jahre lang verbilligte Mieten und Strompreise kamen dazu, und der „New York City Discovery Fund“ wurde aufgeleget, dessen Mittel in Höhe von 90 Millionen Dollar allen High-Tech- Unternehmen zugute kommen sollen, die entweder in der Stadt Fuß fassen oder sich erweitern wollen: stattliche Geschenke an eine wachsende Industrie in einer Zeit, in der den Bildungs- und Sozialbehörden der Stadt das ohnhin winzige Budget zusammengestrichen wurde.

Da konnten auch die Rudins nicht anders als zugreifen und machten sich Ende 1995 an die Modernisierung ihres Ladenhüters in der Broad Street. Größtes technisches Problem: Das Gebäude war auf die Telekommunikationsbedürfnisse der sechziger Jahre hin ausgelegt. Mit der vollen Unterstützung des Bürgermeisters wurde ein autonomes Kabelsystem im Haus gelegt. Die Telefongesellschaften mußten draußen bleiben. Mieter, die von einer Gesellschaft zur anderen wechseln wollen, müssen nur die Einspeisungsparameter im Haussystem ändern – „plug 'n' play“.

Ein Netz aus Kupfer- und Glasfaserkabeln verbindet jeden Schreibtisch mit Übertragungsraten bis zu 1,5 Millionen Bit pro Sekunde, dem Zweiundfünfzigfachen der 28.800 bps der heute üblichen Modems. Für spezielle Anlässe können auch Leitungen gemietet werden, die satte 10 Millionen Bit pro Sekunde übertragen. Für noch ausgefallenere Bedürfnisse steht eine digitale Satellitenempfangs- und -sendeanlage zur Verfügung.

Noch immer liegt die Miete mit 15 bis 20 Dollar pro Quadratfuß rund um die Hälfte unter dem Standard von Manhattan. Über 90 Prozent der etwa 39.500 Quadratmeter sind mittlerweile vermietet. Sichtbare Klimaschächte, Kabelbäume und Sprinkleranlagen vermitteln das rauhe Loftgefühl, das die neuen Mieter bisher gewohnt waren. Workstations sind in Gruppen angeordnet, ohne die für Großraumbüros in Amerika typischen schulterhohen Trennwände.

Mieter der ersten Stunde ist N2K (Need to Know), ein Unternehmen mit 200 Angestellten, das auf zwei Etagen durch Werbung finanzierte Websites über Musik produziert, beispielsweise „Rocktropolis“ oder „Jazz Central Station“ (www.musicblvd.com). Einen ähnlichen Service bietet auch Netcast an.

Die Cornell University richtete im 3. Stock eine Filiale ihres „Theory Center“ ein, das über Glasfaserkabel direkt mit dem universitätseigenen Supercomputer in Ithaca, New York, dem schnellsten öffentlich zugänglichen seiner Art, verbunden ist (www.tc.cornell .edu/55BROAD/).

Weitere Räume wurden von Webdesign- und Technologiefirmen, dem Produzenten Phil Ramone oder Steuer- und Unternehmensberatern gemietet. Nahezu alle haben einen Link auf der hauseigenen Homepage, die zugleich Werbefläche für die Projekte der Rudins ist. Geplant ist ein globales Netzwerk von sogenannten Smart Ready Buildings in Europa und Asien (www.ITCWW.NET). Das „Information Technology Centre London“, eine ehemalige Zigarettenfabrik, steht kurz vor seiner Fertigstellung. Als mögliche Standorte in Deutschland sind München und Berlin im Gespräch.

Für den Chief Operating Officer John J. Gilbert III. ist das wichtigste Wort jedoch nicht Geld, sonden „community“. Gilbert erläutert es so: „Zwei Mieter begegnen sich im Fahrstuhl, sie begrüßen sich, kommen ins Gespräch, und als sie auseinandergehen, ist ein neues Produkt oder ein neuer Service auf dem Weg zum Markt.“ Ebenso wichtig wie Begegnungen dieser Art ist für die jungen „start- up-companies“ aber die reale Nachbarschaft zur Wall Street – sie sind dauernd auf der Suche nach neuem Risikokapital.

Nur die Ladenräume im Erdgeschoß stehen noch überwiegend leer, die Fenster sind mit Folien verklebt. Laufkundschaft fehlt, doch das, meint Gilbert, sei nur eine Frage der Zeit. Ein paar Räume wurden schon mal dem „digital clubhouse“, einer gemeinnützigen Initiative aus Kalifornien, umsonst zur Verfügung gestellt (www.digiclub.org). Die Organistation will das digitale Analphabetentum bekämpfen und mit Computerkursen der Kommerzialisierung des Internets entgegenwirken. Alfonso Rutigliano

ali@thing.net

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