Theo gegen den Rest der Union

Heute treffen sich die Spitzen von CSU und CDU im bayerischen Kloster Andechs. Inhaltlich ist nur wenig zu erwarten – doch interessant bleibt, ob die Demontage von Waigel weitergeht  ■ Aus München Felix Berth

Das Kloster Andechs hat einen großen Vorzug. Es erlaubt schöne Fernsehbilder. Malerisch liegt der Bau auf einem Hügel nahe dem Ammersee; eine Brauerei mit berüchtigtem dunklen Bier gibt es, und irgendwo im Kloster sollen sogar ein paar Reliquien sein. Das Gesamtbild dürfte also jeden Kameramann entzücken: rosa Kirchturm vor blauem Himmel, im Inneren dann Haarlocken der heiligen Anna und Milchtropfen aus Mariae Brust, letztere vielleicht kein ganz einfaches Motiv.

In diesem Kloster werden heute Helmut Kohl, Theo Waigel, Edmund Stoiber und knapp zwanzig andere Spitzenleute von CDU und CSU herumlaufen, sich filmen lassen und gelegentlich einen fromm- nachdenklichen Eindruck machen. Ein paar Scherze über die Benediktiner-Regel „ora et labora“, „bete und arbeite“, bieten sich für das gebildet-religiöse Fernsehpublikum an, und der Berichterstatter kann glücklich sein. Nur drei Stunden soll das „Strategietreffen“ dauern – da wird der Medienrummel im umgekehrten Verhältnis zur Bedeutung der politischen Aussagen stehen. Die CSU-Vorstöße für eine Umbildung des Bonner Kabinetts sind in der letzten Woche recht kläglich verröchelt, und inzwischen üben auch jene Politiker den Kotau vor dem großen CDU-Vorsitzenden, die vor ein paar Tagen noch versuchten, die Eigenständigkeit der CSU zu demonstrieren. O-Ton Michael Glos: „Der CSU-Vorsitzende hat dem Kanzler einen Ratschlag erteilt. Ob und wann Helmut Kohl das Kabinett umbildet, ist allein seine Sache.“ Personalfragen, so will es Kohl, sollen in Andechs nicht besprochen werden. Statt dessen werden die „Klassiker“ ausgepackt: Steuerreform, Rentenreform – beide Projekte sollen noch vor den Bundestagswahlen über die Bühne gehen –, dazu ein bißchen innere Sicherheit und, auf Drängen von Edmund Stoiber, auch der Euro. Das inhaltsarme Gerede der letzten Wochen dürfte sich also fortsetzen. Doch selbstverständlich werden alle Andechser Sprechblasen genauestens geprüft werden, ob sie nicht doch etwas über die Personalpolitik der nächsten Monate und das Schicksal von Theo Waigel aussagen. Denn selten hat sich ein Parteivorsitzender in derart rasanter Geschwindigkeit selbst demontiert wie Waigel in der jüngsten Vergangenheit. Helmut Kohl sah sich sogar genötigt, Waigel vor sich selbst in Schutz zu nehmen. Es dürfe nichts unternommen werden, so Kohl vorige Woche im Parteipräsidium, was Waigels Stellung als CSU-Vorsitzender gefährde. Er befürchte, daß Stoiber Waigel ablösen möchte, falls sich dies ergeben sollte. Kohl gab zu verstehen, daß er vor allem eines nicht wolle – Stoiber als CSU-Vorsitzenden und damit die Wiederkehr Straußscher Verhältnisse.

Aus Sicht der CSU ist das kein Zeichen von Stärke, sondern ein Symbol der Machtlosigkeit: Wenn schon der Kohl dem Waigel beistehen will, muß es ja schlimm um den Parteivorsitzenden stehen, lautet die Interpretation des Bonner „Hilfsangebots“. Die CSU verbat sich logischerweise sofort diese „Einmischung“.

Prominente Helfer jedoch scheint Waigel in der CSU kaum noch zu haben. Waigel könnte in Bayern derzeit zehn Feuerwehren einweihen, er würde zehnmal ausgebuht werden, heißt es. Unterstützung kam in den letzten Tagen lediglich von Bonner CSU-Politikern. Die bayerischen Parteifreunde dagegen hielten sich zurück – am auffälligsten Edmund Stoiber, der demonstrativ schwieg und Waigels Selbstdemontage genüßlich beobachtet haben dürfte. Doch gemäß Kohls Versprechen sind Personalien in Andechs nicht zu erwarten – allenfalls ein paar Hinweise auf die aktuelle Machtverteilung in der Union.

Schon jetzt konzentrieren sich daher die Spekulationen auf die Zeit „nach Andechs“, vor allem auf den bevorstehenden CSU-Parteitag im November. Daß Edmund Stoiber dann gegen Waigel antritt, wird in der Partei fast kategorisch ausgeschlossen – zu groß wäre der Schaden wenige Monate vor den Wahlen in Bayern. Doch wenn Waigel vorher zermürbt den Parteivorsitz aufgibt, wäre Stoiber wohl zur Stelle; zumindest hat man ein entsprechendes Dementi von ihm noch nicht gehört.

„Andechs“ wird in der Union also nicht für sonderlich viel Klarheit sorgen – was sich übrigens mit den Erfahrungen deckt, die Herbert Achternbusch auf dem „heiligen Berg“ gemacht hat. In seiner Erzählung „Das Andechser Gulasch“ notierte Achternbusch, was er an dem Ort schätzt: „Wenn jemand was von mir wollte, führte ich ihn nach Andechs, weil in dem Lärm eine Verständigung kaum möglich war.“