Die Idee kommt aus den USA: Aktien für alle Arbeitnehmer. Bisher ist das Modell Mitarbeiteraktie in Deutschland wenig verbreitet. Das könnte sich bald ändern. Politiker aller Parteien basteln an ihren Konzepten zur Umverteilung des Kapitals

Die Idee kommt aus den USA: Aktien für alle Arbeitnehmer. Bisher ist das Modell Mitarbeiteraktie in Deutschland wenig verbreitet. Das könnte sich bald ändern. Politiker aller Parteien basteln an ihren Konzepten zur Umverteilung des Kapitals.

Aus Kollegen werden Kapitalisten

Mit Ekel betrachtet Silvia Brunner* den steigenden Kurs ihrer Aktien. Wenige Stunden nachdem ihr Arbeitgeber bekanntgegeben hat, mit einem Konkurrenten zu fusionieren, sind die Unternehmensanteile in die Höhe geschossen. Ohne ein einziges Blatt Papier mehr zu bewegen, ohne einen Kunden dazuzugewinnen, hat die Sachbearbeiterin mit ihren Belegschaftsaktien an einem Vormittag mehr verdient als den ganzen Tag durch ihre Arbeit. „Was bin ich eigentlich als Mensch noch wert?“ fragt sich Silvia Brunner.

Widerwillen gegen den Profit wollten die Vorstandslenker durch die Belegschaftsaktien eigentlich nicht erzeugen. Vielmehr sollten die Anteile am Unternehmen die Mitarbeiter an den Betrieb binden. Sie motivieren, durch ihre Arbeit den Mehrwert des Konzerns zu erhöhen. Steigen Umsatz und Gewinn, steigen auch die Börsenkurse des Unternehmens. Wer am Unternehmen beteiligt ist, so überlegten die Vorstandschefs, der geht verantwortungsvoll mit den Ressourcen des Betriebs um.

Die Idee vom Kollegen Kleinaktionär kommt wie fast alle strategischen Managementkonzepte aus den USA. Dabei sind die vergünstigt abgegebenen Aktien an die Belegschaft nur eine Form der Mitarbeiterbeteiligung. General Electric und American Express zum Beispiel zahlen seit Jahren Geld in Fonds zur Rentenabsicherung ihrer Mitarbeiter ein. Vom Stahlkonzern bis zur Unternehmensberatung schütten US- Betriebe jährlich Milliarden als Gewinnbeteiligung an ihre Mitarbeiter aus. Ursprünglich dazu gedacht, die Angestellten an das Unternehmen zu binden, sind die freiwilligen Gratifikationen inzwischen zu einem Kostenproblem geworden. Sie machen mittlerweile rund 39 Prozent der Lohnkosten in den USA aus.

In Zeiten der Krise haben deutsche Unternehmer das US-Modell der Mitarbeiterführung dennoch entdeckt. 350 börsennotierte Aktiengesellschaften von Lufthansa über

Daimler Benz bis zur Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank geben günstige Aktien an ihre Arbeitnehmer aus. Die arbeitenden Kleinaktionäre halten dennoch nur Aktien für 13 Milliarden Mark an ihren Arbeitgebern. Rechnet man Darlehen oder Genossenschaftsanteile hinzu, ist die arbeitende Masse mit gerade mal 15 Milliarden Mark an Unternehmen von der selbstverwalteten Zeitung bis zum Autokonzern beteiligt. US-Arbeitnehmer halten dagegen für 350 Milliarden Dollar Anteile an über 10.000 Betrieben.

So wie bei der Lufthansa machen es viele deutsche Unternehmen: Die Mitarbeiter können ein Darlehen in Anspruch nehmen und davon Lufthansa

Aktien dem Unternehmen abkaufen. Oder sie bekommen statt einer Gewinnbeteiligung Aktien im Gegenwert. 300 Mark davon sind steuerfrei, sofern der Mitarbeiter zwei Jahre mit dem Verkauf der Aktien wartet. Mehr zu sagen im Konzern haben die arbeitenden Kleinaktionäre dennoch nicht, halten sie doch nur Bruchteile am Unternehmen.

Bisher sind die wertschöpfenden Aktionäre eine verschwindende Minderheit in Deutschland. Ein geplantes Gesetz der Bundesregierung, das den sogenannten Investivlohn – die Beteiligung der Arbeitnehmer am Betriebskapital – steuerlich fördert, wird von ihr verschleppt. Und doch interessieren sich rechte und linke Parteien, Gewerkschafter und Unternehmer für die Mitarbei

terbeteiligung. Sinnvoll wäre zum Beispiel, daß die steuerlich begünstigte Kapitalbeteiligung der Mitarbeiter nicht zwingend im eigenen Betrieb investiert werden muß. Wenn der Investivlohn frei auf dem Markt angelegt werden dürfte, „dann könnte man die Rentenversicherung auf eine zweite Säule stellen und die Eigenkapitalschwäche von kleinen Unternehmen aufheben“, sagt Margareta Wolf, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen.

Die SPD-Fraktion findet die bestehende Verteilung des Kapitals – drei Prozent der Bevölkerung halten über achtzig Prozent des Produktivvermögens – schlicht ungerecht. Auch sie fordert eine Gesetzesänderung. Und die CDA, der Arbeitnehmerflügel in der CDU, arbeitet seit Jahren daran, den Investivlohn gesetzlich zu verankern.

Dem hat sich auch der Deutsche Gewerkschaftsbund in seinem Dresdner Grundsatzprogramm 1996 angeschlossen. „Da findet ein Paradigmenwechsel statt“, stellt Michael Lezius von der Arbeitsgemeinschaft Partnerschaft in der Wirtschaft (AGP) fest. Seit 1950 bemüht sich die AGP, „Arbeit und Kapital zu verzahnen“. Die kapitalstarken Banken mit ihrer Allmacht über die deutsche Industrie sollten geschwächt werden, fanden Unternehmer nach nationalsozialistischer Herrschaft und Krieg. „In Zeiten der Krise wollen immer alle die Mitarbeiterbeteiligung“, stellt Lezius fest.

Die Zeit dafür ist reif: In den kommenden Jahren werden 300.000 klein- und mittelständische Unternehmen durch den Generationenwechsel ohne Führung dastehen. „EU-weit gehen so jedes Jahr über 300.000 Arbeitsplätze verloren“, sagt Lezius. Deswegen müßten frühzeitig die Arbeitnehmer am Betrieb beteiligt werden, um ihn zu übernehmen, wenn der alte Chef abtritt. Bei einer langfristigen freundlichen Übernahmestrategie kann außerdem aus dem Betrieb heraus eine Unternehmerpersönlichkeit gefunden und geschult werden. Denn selbständige Unternehmer sind in Deutschland zu einem raren Gut geworden. In den fünfziger Jahren waren 19 Prozent der westdeutschen Bevölkerung selbständig. Heutzutage sind es nur noch 9,5 Prozent. Ulrike Fokken

*Name von der Red. geändert