Mosaik über der Güllegrube

In Auerstedt, am Ort der historischen Schlacht, sorgen Künstler und Einheimische gemeinsam für neues Flair, bezahlte Arbeit und Bodenhaftung  ■ Von Heide Platen

Auerstedt, 508 Einwohner, nordöstlich von Weimar, lag immer etwas abseits, und auch Volker Franke ist arbeitslos geworden, als die Uhrenfabrik in der nahe gelegenen Kreisstadt Apolda zumachte. Daß den Auerstedtern seit 1994 ausgerechnet eine Handvoll Utopisten und Künstler Lohn und Brot verschafft, ist für die ostthüringischen Dörfler „zuerst gewöhnungsbedürftig“ gewesen. Versonnen blickt Franke hinüber zu seinem langhaarigen Chef, der mit der Mosaikkünstlerin Martina Kalberer-Brenek im Hof des Auerstedter Schlosses an einem Riesenmosaik stückelt – da, wo früher die Güllegrube der LPG war.

Der Weltenbummler Micky Remann ist als Geschäftsführer des Fördervereins Auerstedt e. V. größter Arbeitgeber im Ort: „Ich komme noch vor der Schweinezucht.“ 32 befristete ABM-Stellen sind in drei Jahren geschaffen und vor allem mit Leuten aus dem Ort besetzt worden.

Ein seltsamer Arbeitsplatz ist das in dem alten Rittergut in der Ortsmitte, das man hier „Schloß“ nennt und das nun Zentrum einer Künstlerkolonie werden soll. Im Hof splittert und kracht es. Marcel Kalberer zertrümmert schon wieder Kacheln. Von der Treppe des Herrenhauses blicken vier Dorfbewohnerinnen herab und schütteln die Köpfe: „Die sind doch so schön. Warum macht er die kaputt?“ Und: „Hätten wir die mal in Ost-Zeiten gehabt!“

Am Mosaik widerstreiten derweil der künstlerische Anspruch, die gegenständliche Form zu zerbrechen und bodenständige Kreativität mit Sinn für Wiedererkennbares. Das, sagt Martina Kalberer- Brenek, und beäugt einen kunterbunten Kreis, „sieht ja aus wie eine Geburtstagstorte.“ Die ABM- Leute werden das Mosaik nach einer Woche künstlerischer Unterweisung allein fertigpuzzeln. Zuerst aber lernen sie das Anrühren des Mörtels: „Der muß eine Konsistenz haben wie Mousse au chocolat.“ Wie was? „Wie en weescher Schocklodnbudding“, assistiert eine Einheimische.

Im ziemlich schlichten quadratischen Haupthaus wird gemauert, gehämmert und gesägt. Zum bundesweiten Tag des Offenen Denkmals am 14. September soll das Haus vom Weinkeller bis zum Dachboden besichtigt werden können. Bürgermeister Horst Machts, der dem Ort seit 18 Jahren vorsteht, eilt im Blaumann mit Zollstock treppauf und treppab. Auch er ist nun ABM-Kraft. Begonnen hat die Arbeit damit – und auch das war „schon sehr gewöhnungsbedürftig“ –, daß die Dörfler die Hinterlassenschaften der ehemaligen DDR, also ihre eigenen, ausräumen mußten. Unter Plaste, Brettern, Farbschichten, und Taubendreck kamen die Originalfußböden, die geschnitzten Rahmen der Holztüren, Bögen und Gewölbe wieder zum Vorschein.

Anschließend wurde auf einem internationalen Fest mit Reggae- musikern gefeiert, auf dem die wenigen Auerstedter, die gekommen waren, etwas verloren an den frisch verputzten Wänden herumstanden. Den Geschmack der Dorfjugend hat es nicht getroffen. Die meisten bleiben dem Schloß fern und treffen sich lieber in der DDR- heimeligen „Sportlerschänke“ am Dorfrand oder an der Bushaltestelle und hören Techno. Ihr Fest ist die Dorfkirmes im Juli.

Probleme mit den Einheimischen hatten trotzdem weder die schrille New Yorker Fotografin Linda Troeller noch die Reggae- musiker. Allerdings reisen manchmal Rechte aus Apolda auf der Suche nach Randale über die Dörfer. Die Verbundenheit der Bevölkerung mit ihrem Projekt aber, sagt Micky Remann, „die schützt, obwohl da Welten aufeinanderprallen“. Das Dorf wird, meint auch Volker Franke, mit Anfeindungen fertig werden: „Das liegt vielleicht daran, daß wir einen etwas merkwürdigen Charakter haben.“

Der lebt vom Beharren und hat dem Ort nach der Wende die Teppichdomänen, Supermärkte und Gewerbegebiete erspart: „Wir wollten das nicht haben. Wir warten lieber immer erst mal ab.“ Und so wurde auch nichts aus dem Golfplatz. Diese in Nachwende- zeiten selten zögerliche Haltung sei, beeilt Franke sich zu sagen, durchaus gepaart mit „viel Neugier und Weltoffenheit“.

Alles ansehen und sich dann langsam entscheiden, diese Charakterisierung scheint Bürgermeister Machts auf den Leib geschrieben. Der hagere Mann sitzt manchmal tagelang still in seinem Garten und grübelt: „Ich tue mich schwer.“ Damals, als die Künstler kamen und vorschlugen, internationales Flair und heimatliche Tradition zusammenzubringen, hat er lange gebraucht, ehe sich dieser Gedanke in ihm formte: „Das könnte was werden.“ Und dann sagt Volker Franke – natürlich nach weidlicher Überlegung – den Satz, der ins Auerstedter Wappen geschrieben sein könnte: „Wenn nur die Häfte davon wahr wird, dann ist das kein Schritt zurück.“

Der Dorfchronist Otto Franke hatte diese Verhaltenheit im vorigen Jahrhundert ärgerlich als „bedauerliche Schläfrigkeit, Gleichgültigkeit und Verharren im gewohnten Schlendrian“ gegeißelt. Aber der Otto Franke habe das falsch gesehen, sagt Volker Franke. Die Auerstedter seien lediglich bodenständig. Sie beobachten die Welt da draußen und sehen ihr dann viel nach. Die Künstler, „die kommen eben aus der Stadt“. Und „was aus dem Westen kam, das waren für uns fremde Welten. Das hat für uns immer noch etwas exotisch Unnahbares.“ Aber: „Die Fremdheit nimmt ab“, resümiert Volker Franke.

Sein Versöhnungswille schließt auch Auerstedts blutige Geschichte mit ein. Ein paar Kilometer entfernt trafen im Morgennebel des 14. Oktober 1806 das preußische und das napoleonische Hauptheer eher versehentlich aufeinander. Nahezu zeitgleich verloren die Preußen auch die Schlacht bei Jena. 20.000 der insgesamt 40.000 Toten, 7.000 französische und 13.000 preußische Soldaten, blieben hier auf der Strecke, da wo sich heute Felder ausdehnen. Der preußische Befehlshaber, der Herzog von Braunschweig, hatte im Auerstedter Rittergut seinen Befehlsstand, König Friedrich Wilhelm III. logierte im Posthaus.

Wo so viel Krieg war, findet Micky Remann, da muß Kunst wachsen. Deshalb plant der Naturbau-Künstler Marcel Kalberer hier den größten Weidenpalast der Welt, eine Pagode mit 25 Metern Durchmesser, in der 1.000 Menschen Platz finden sollen. Der fragile Bau wird sich im Lauf des ersten Jahres selbst begrünen. „Baum-Werk“ nennt Remann ihn, „Denk-Mal“ der Zukunft. Oder auch „Friedenspalast“. Und in dem soll Versöhnung sein, nicht nur mit den ehemaligen Gegnern in der Schlacht, sondern mit aller Welt, die seit ein paar Jahren nach Auerstedt pilgert: „Auerworld is Auerstedt“ – und umgekehrt.

Gerade deshalb, so Volker Franke – ganz auf die Symbiose von regional und international eingestimmt –, sei es gut, daß der neu formierte örtliche Heimatverein von Anfang an an dem Projekt beteiligt war und im Erdgeschoß sein Heimatmuseum einrichten konnte, dessen Exponate vor allem aus den Kellern, Schränken und Kisten im Ort kamen. Und so wird auch aus dem 1980 gestorbenen Dorforiginal Else Eyermann Kunst werden. Die Filmerin Birgit Lehmann dreht vor Ort „Als Hitchcock in Auerstedt auf Eyermann's Else traf“. Die stand in dem zweifelhaften Rufe, ihre tote Mutter ans Fenster gesetzt zu haben, um deren Rente noch einen Monat lang kassieren zu können. Auch sonst war mit der eigensinnigen Else nicht gut Kirschen essen. Tiefe Gräben hat sie ausgehoben und mit in Eimern mühsam herbeigeschlepptem Wasser gefüllt, damit die Fahrzeuge der LPG ihre kleinen Äcker nicht passieren konnten, und immer wieder um ihr Land prozessiert.

Heutzutage kommen die Originale nun auch von außerhalb. Den Weltreisenden Remann hatten die Solequellen in die Region gelockt. Im benachbarten Bad Sulza bietet er eine seiner ehemaligen Kunstinstallationen, Liquid Sound, als Therapie an: Schwimmen und Schweben bei Unterwassermusik mit Light-Show. Schlachtfeld und Befehlsstand hat er zufällig entdeckt und als künstlerische Herausforderung angenommen, die ihn 1993 nachgerade zu unerwarteter Seßhaftigkeit nötigte: „Mindestens bis 2003!“ wird er bleiben.

Nun stellt sich in Auerstedt neuerdings dies und das heraus, zum Beispiel, daß Bürgermeister Machts nicht nur Schreiner ist, sondern auch schon fast ein Künstler. Er hat die Schilder für den Weinkeller und für das künftige Bauernmuseum geschnitzt und der Zisterne ein spitzes Holzdach gezimmert. Die Initiatoren der künftigen Künstlerkolonie wollen höher hinaus. Sie haben sich erkämpft, ein Teil der EXPO 2000 in Hannover zu sein. Neben dem Weidenpalast wird dann ein Zeppelinlandeplatz eingerichtet, von dem aus sich die „Toscana des Ostens“ mit ihren Hügeln und Weinbergen samt Kunstschloß und Schlachtfeld aus luftiger Höhe erschließen läßt.