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London will nicht länger die Umweltsau sein

■ Labour-Regierung gibt Wende beim Abfalldumping ins Meer bekannt. Radioaktive Einleitungen aus Sellafield sollen rasch reduziert werden

Berlin (taz) – Pünktlich zu der in dieser Woche in Brüssel tagenden Meeresschutzkonferenz der Nordseeanrainerstaaten, der sogenannten Ospar-Kommission, hat die neue Labour-Regierung eine Wende ihrer bisherigen Meerespolitik bekanntgegeben.

Jahrelang hatte sich Großbritannien gegen fast alle Vorschläge gesperrt, die den Nordatlantik von der schleichenden Verseuchung durch radioaktive Einleitungen aus der atomaren Wiederaufarbeitung und durch die Ölindustrie entlasten sollten. Nun kündigte Londons Umweltminister Michael Meacher die „wichtigste Änderung der europäischen Meerespolitik seit Jahrzehnten“ an. Die britischen Delegierten bei der in Brüssel tagenden Ospar-Delegiertenkonferenz seien angewiesen worden, ab sofort den neuen Kurs zu steuern.

Praktisch anerkennt die Labour-Regierung endgültig das auf der internationalen Ebene bereits verabschiedete Verbot der Entsorgung schwach- und mittelradioaktiver Abfälle ins Meer.

Außerdem sollen, wie bei der Ospar-Konferenz von fünf Ländern gefordert (s. taz vom Dienstag), die radioaktiven Einleitungen aus den britischen Wiederaufarbeitungsanlagen in Sellafield und Dounreay „deutlich reduziert“ werden, versprach Meacher. Über den Zeitpunkt, zu dem die Einleitungen gänzlich verboten werden könnten, schwieg sich der Minister allerdings aus.

Die britische Regierung will sich über diese Fragen in Zukunft auch mit Frankreich auseinandersetzen, das in La Hague an der Kanalküste die größte europäische Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) betreibt und bislang bei internationalen Meeresschutzkonferenzen stets mit den Briten gegen den Schutz des Meeres votierte. Meacher hofft mit der neuen französischen Regierung und ihrer grünen Umweltministerin Dominique Voynet an einem Strang ziehen zu können. Allerdings werde man sich bei der Formulierung des Ospar-Zielkatalogs zum Schutz der Meere an „das praktisch Machbare“ und auch an bestehende internationale Vereinbarungen zu halten haben, schwächte der Umweltminister ab.

Großbritannien will in der Ospar-Konferenz außerdem dafür eintreten, daß die Konzentrationen künstlicher Chemikalien im Meer in Zukunft generell „nahe Null gehen“. Besondere Beachtung sollen dabei Chemikalien finden, die im menschlichen Körper wie Hormone wirken und so die Fortpflanzungsfähigkeit beinträchtigen können.

Installationen der Öl- und Gasindustrie, wie etwa die Ölplattform Brent-Spar, sollen nach den Worten des Minister nicht mehr im Meer, sondern an Land entsorgt werden, „wo immer dies sicher und praktisch durchführbar ist“.

Die Umweltorganisation Greenpeace feierte in London die „dramatischste Veränderung der britischen Emissionspolitik in den letzten anderthalb Jahrzehnten“. Erstmals gebe es auf Regierungsebene in London einen „Generalvorbehalt“ gegen jegliche Meeresverschmutzung, sagte der britische Greenpeace-Geschäftsführer Peter Melchett. Die Wende werde gewaltige Rückwirkungen auf die Wiederaufarbeitungsanlagen in Sellafield und Dounreay entfalten.

Nicht nur auf sie: Auch in Frankreich erhöht sich mit dem Kurswechsel in London der Druck auf die neue sozialistische Regierung, die Einleitungen aus der WAA am Cap de la Hague zu beschränken. Bundesumweltministerin Angela Merkel hatte im Vorfeld der Brüsseler Ospar-Konferenz mit einem „Kompromißvorschlag“ zur Problematik der radioaktiven Einleitungen geglänzt, der praktisch alles beim alten lassen wollte. Eine Stellungnahme aus dem Bonner Umweltministerium ist für heute angekündigt.

Unterdessen startete das Greenpeace-Schiff Beluga gestern von Hamburg aus zu einer Mission an die Küste der Normandie. Dort sollen Messungen der radioaktiven Verseuchung durch die WAA La Hague fortgesetzt werden, die die Umweltschützer im Juni aufgenommen hatten. Geht es nach dem Willen der neuen britischen Regierung, dürfen Geenpeace und andere Umweltgruppen sich beim nächsten Ospar-Treffen sogar direkt in den Arbeitsgruppen der Diplomaten engagieren. Gerd Rosenkranz

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