: Viel grünes Programm, wenig Profil
Zu Beginn des Bundestagswahlkampfes leben die Bündnisgrünen mehr von der Schwäche der Bundesregierung als von den eigenen Stärken. Es mangelt an Konzepten und an Köpfen ■ Von Dieter Rulff
Im kommenden Bundestagswahlkampf setzen die Grünen voll auf die Bundesregierung, und das mit einiger Aussicht auf Erfolg. „Wenn wir keinen Fehler machen“, da ist sich Jürgen Trittin sicher, „werden CDU/CSU und FDP ihre Mehrheit verfehlen.“ Die Umfrageergebnisse der letzten Tage geben dem Sprecher des Bundesvorstandes recht. Bei 43 Prozent liegt die Koalition, auf 39 kann die SPD verweisen, neun kämen von den Grünen hinzu.
Keine Fehler machen, lautet die erste Grünen-Pflicht, weshalb das Aktivitätsniveau in den letzten Wochen sich beständig nach unten neigte. Die Steuerdebatte wurde lediglich mit pflichtgemäßen Verweisen auf die Schwächen der Bundesregierung begleitet. Als der haushaltspolitische Sprecher Oskar Metzger über die Presse mehr öffentliche Eigenprofilierung einklagte, wurde er prompt in einer Fraktionssitzung von Joschka Fischer abgekanzelt.
Der Fraktionsvorsitzende sorgt sich auch darum, daß nicht unnötig und zur Unzeit in den Landesverbänden die Debatte über eine PDS-Tolerierung losbricht. Der neue Sprecher des Berliner Landesverbandes, Andreas Schulz, hatte jüngst mal wieder eine Klärung angemahnt, obgleich RotGrün in der Hauptstadt zur Zeit rein rechnerisch nicht auf die Unterstützung der PDS angewiesen wäre. In Bonn wurde die Berliner Diskussionsfreude mit Unmut registriert. Der heftigste Angriff auf den Großen Lauschangriff wurde nicht in Bonn, sondern in Düsseldorf gestartet, vom dortigen bündnisgrünen Fraktionssprecher Roland Appel. Die Sommerpause, früher gerne zum parteiinternen Schlagabtausch genutzt, war diesmal schwül und ruhig.
Aus dieser Ruhe heraus soll nun der Bundestagswahlkampf gestartet werden. Doch was als volltönender Auftakt geplant war, droht nun in der Vielstimmigkeit parteiinterner Beratungen zu verklingen. Vor einer Woche sollten Wahlkampfideen und eine Agentur präsentiert werden. Aber Bundesvorstand und Landesvorstände konnten sich auf einem gemeinsamen Strategietreffen nicht einigen. „Völlig uninspiriert“, lauteten die Kommentare aus der Fraktion. Der Vorstand hätte die Entscheidung über die Agentur allein in seiner Hand halten müssen. Immerhin dränge, ein Jahr vor der Wahl, allmählich die Zeit. Bundesgeschäftsführerin Heide Rühle versichert, daß die Agentur im Laufe der nächsten vierzehn Tage gefunden wird. Im Vorstand sieht man das Gemurre der Fraktion eher gelassen. Eine Reihe von Abgeordneten bange einfach um einen sicheren Listenplatz, heißt es.
Vier Prozent Zugewinn gibt die Vorstandssprecherin Gunda Röstel als Ziel für die Wahl im kommenden September aus. Die Unfähigkeit der Bundesregierung sei dabei nur die halbe Miete. „Es gibt keine automatische Stimmung für Rot-Grün, wir werden Signale setzen müssen“, legt Trittin die Generallinie fest.
Gleichzeitig aber gesteht er seine Angst ein „vor dem, was dann kommen könnte“. Denn die SPD gilt keinesfalls als sicherer Kantonist. Zwar erkennt man in Schröder den optimalen Kanzlerkandidaten, um die volle Breite des grünen Wählerspektrums auszuschöpfen. Doch Schröder ist eben kein Garant für eine klare rot-grüne Profilierung. Es müsse schon vor der Wahl überlegt werden, mit welchen Projekten danach ein rot-grünes Signal gesetzt werden kann, lautet die Forderung aus der Fraktion. Projekte, die überzeugend sind, die aber in Anbetracht der Haushaltslage kaum Geld kosten dürfen. Die Bedingungen für solch symbolische Politik wären günstig. Immerhin würde Rot-Grün nach einer gewonnenen Wahl auf absehbare Zeit über eine Mehrheit im Bundesrat verfügen.
Doch wie lautet das Signal, das auch Trittin „für den Neuanfang in der deutschen Politik“ setzen will? Einigkeit besteht lediglich darin, daß man sich nicht mit den klassischen grünen Themen bescheiden will. Der Vorstandssprecher will „mit einem vollständigen Programm antreten“. Den Schwerpunkt soll die Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik bilden. Doch sind die Achtungserfolge in diesen zentralen Bereichen noch keine Wahlkampfschlager.
Röstel verweist auf die gestiegene Akzeptanz in der Wirtschaft, doch zählt auch sie die Unternehmerschaft noch nicht gerade zur eigenen Wählerklientel. Zudem schwelt der unausgetragene Konflikt um die Zielorientierung der Arbeitsmarktpolitik. Eine Rückkehr zum alten Vollbeschäftigungsmodell wird es für Trittin nicht geben. Auf welchen Sockel von Erwerbslosigkeit man sich einstellt und in welchem Maße er durch staatliche Beschäftigungsmaßnahmen verringert werden kann, das ist strittig. Konfliktträchtig ist auch die Außenpolitik. Da mit ihr jedoch keine Wahlen gewonnen werden, will man dort unnötige Kontroversen vermeiden.
Die Konflikte sieht man in der Fraktion dann aufziehen, wenn der Bundesvorstand nicht in absehbarer Zeit klare Wahlkampfschwerpunkte benennt und Strategien vorgibt. Der Vorstand seinerseits will, so Trittin, erst einmal „zusammenbringen, was sich in vier Jahren auseinanderentwickelt hat“. Die Lücke zwischen den politisch- programmatischen Diskussionen in Bonn und der Stimmung an der Parteibasis soll ab Oktober in einer Reihe von Programmratschlägen verkleinert werden. Dann will man sich in öffentlichen Veranstaltungen einzelnen Themen widmen. Skeptiker sehen darin die Einladung an die Partei, sich wieder in die Wahlkampfdiskussion einzumischen. Das hatte in früheren Zeiten keine klaren Programme zur Folge, sondern berüchtigte ausufernde Forderungskataloge.
Deshalb wächst der Druck auf den Vorstand, schnell für Klarheit zu sorgen. Doch der kann nicht nur auf die Wähler schauen, sondern muß auch die Launen der Basis berücksichtigen. Da die Partei keine zentrale Finanzverwaltung hat, bestimmen weitgehend die Bezirke und Kreise, was an Parolen geklebt wird – oder auch nicht. Da taucht dann schon mal das altvertraute „Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geliehen“ auf, weil die aktuellen Slogans keine Zustimmung finden.
Am Parteigemüt dürfte auch das Begehren scheitern, im kommenden Bundestagswahlkampf stärker auf Personen zu setzen. Zwar ist Joschka Fischer als Zugpferd anerkannt, doch ihn deshalb flächendeckend plakatieren? Dafür spricht zwar die Erfahrung, die Rezzo Schlauch machte, als er für das Stuttgarter Oberbürgermeisteramt kandidierte. Dagegen spricht jedoch das Interesse der Landesverbände, ihre jeweiligen Spitzenkandidaten in den Vordergrund zu rücken. Deshalb wird die Präsenz Joschka Fischers oder anderer Parteiköpfe, nach Trittins Ansicht, kaum exponierter sein als die früherer Prominenter – wie etwa Petra Kelly oder Thomas Ebermann.
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