Unverhofft zurechtgerückt

■ Rechtschreibreform: „Viele Menschen stehen mit der neuen Regelung besser da“, sagt Hamburgs oberster Deutschlehrer im taz-Interview

taz: Viele Erwachsene finden die Rechtschreibreform doof. Müssen die Bußgeld zahlen, wenn sie nicht nach den neuen Regeln schreiben? 2005 ist die Übergangszeit ja zu Ende.

Bernd-Axel Widmann, Fachreferent für Deutsch bei der Hamburger Schulbehörde: Nein, natürlich nicht. Sie können schreiben, wie sie wollen. Die neuen Regeln gelten nur für Schulen, Hochschulen und die öffentliche Verwaltung. Für alle anderen gibt es keine Vorschrift, das ist immer mißverstanden worden.

Ich habe also höchstens einen Imageverlust zu befürchten, wenn ich altmodisch schreibe.

Das könnte passieren. Aber vieles ist ja auch nur ein Angebot, von dem man nicht weiß, ob es überhaupt angenommen wird: daß man zum Beispiel Spaghetti ohne h schreiben kann oder Mayonnaise als Majonäse.

Wenn sich Majonäse durchsetzt, können die bisherigen Richtigschreiber ja gar nicht mehr glänzen bei schwierigen Wörtern.

Doch, denn die Veränderungen beziehen sich vor allem auf Alltagswörter. Fast alle Bildungswörter bleiben, zum Beispiel Metapher oder Rhythmus.

Was ändert sich denn dann überhaupt?

Es wird künftig mehr groß geschrieben: „im Wesentlichen“, denn das ist ein verblaßtes Substantiv. Das können Sie mit der Artikelprobe rauskriegen: in dem Wesentlichen. Auch „in bezug auf“oder „im nachhinein“wird man groß schreiben.

Ehrlich gesagt schreib' ich das die ganze Zeit schon groß.

Na, dann war das falsch.

Das heißt, daß viele Leute heute falsch schreiben und künftig richtig, daß die Reform also volksnäher ist als die alte Schreibung.

Ja, nach der Reform machen sie generell weniger Fehler. Das ist ja auch ihr Sinn. Aber das haben viele Leute noch nicht mitbekommen. Ich kriege zum Beispiel Briefe von Reformgegnern, die nach der jetzigen Rechtschreibung voller Fehler sind. Viele dieser Leute stehen mit der neuen Regelung besser da. Auch Oberstufenschüler, die sehr heftige Gegner sind, machen in Probediktaten zum Teil nicht wenige Fehler. Denen sag' ich dann immer: „Willkommen auf der Seite der Reformer.“Die Fünftkläßler, die seit August nach den neuen Regeln unterrichtet werden, machen jetzt etwa 50 Prozent weniger Fehler.

Wird denn auch das Trennen einfacher? Ich wußte zum Beispiel lange nicht, daß man Psychologe und Psychiater an unterschiedlichen Stellen trennt.

Da haben Sie mich jetzt erwischt, da muß ich nachgucken. Stimmt: Psy-chologe und Psych-iater. Neu trennt man einfach nach Sprechsilben: Psy-chiater, Psy-chologe. Ebenso wie Sig-nal. Das wird alles einfacher. Außerdem dürfen Sie künftig das S vom T trennen: Wes-te.

Das hat ja eine ganz willkürliche Geschichte: Weil die alten Drucker nicht das in der Frakturschrift sehr schmale S und T auseinanderpusseln wollten, baten sie den Herrn Duden, das zusammenzulassen. Das hat er gemacht, daraus wurde dann der Spruch: „Trenne nie das S vom T, denn das tut ihm schrecklich weh.“Völliger Unsinn, aber historisch erklärbar.

Klasse, dann darf ich viele Fehler beibehalten. Aber wo muß ich richtig umlernen?

Es sind tatsächlich nur 185 von 15.000 Grundwörtern, die verändert wurden, zum Beispiel Stängel mit ä, Känguru ohne h. Richtig umlernen müssen Sie bei ss und ß: Künftig schreibt man „ich weiß“, weil davor ein Zwielaut ist, aber „ich wusste“, weil der Laut da kurz ist. Ebenso: Gruß und Kuss.

Nun maulen viele Erwachsene, daß man künftig den alten Goethe gar nicht mehr lesen könne.

Ich hab' hier ein Beispiel aus dem „Westöstlichen Diwan“, gedruckt 1814: „Dann zuletzt ist unerlässlich dass der Dichter manches hasse; was unleidlich ist und hässlich nicht wie Schoenes leben lasse.“

Alles mit ss.

Genau. So daß wir letzten Endes „unserem Goethe“mit der neuen Rechtschreibreform wieder näher sind. Wenn man meint, daß die Reform so leserunfreundlich sei, daß man die Wörter nicht mehr erkenne, dann liegt man ganz bestimmt falsch.

Was steckt eigentlich hinter all dem Protestgeschrei, wenn sich doch so vieles als Vorurteil entpuppt?

Vielleicht ist die Rechtschreibung die letzte Ecke, von der die Menschen glauben, daß es da noch hundertprozentige Normen gibt, an denen man sich festhalten kann. Daß man mit der Rechtschreibung einen Pflock einschlagen könnte gegen Veränderung und Wandel. Das aber widerspricht jeder Erfahrung mit Sprache: Die Sprache ist widerspenstig, sie ist anarchisch und entwickelt sich ständig weiter. Deshalb ist eine restlose Klärung sowieso nie möglich. Auch nicht durch eine Kommission.

Fragen: Christine Holch