Markt der Illusionen

tazThema: UmweltSonnabend/Sonntag, 6./7. September 1997Markt der Illusionen

Wer Naturkosmetik kaufen will, verirrt sich in einem Labyrinth von Richtlinien und Definitionen. Hersteller konventioneller Kosmetika reagieren darauf natürlich allergisch. Einkauf ist Einstellungssache

Falten raus, Streifen weg, Haare duftig: Kosmetik soll pflegen, verschönen, konservieren – und zwar am liebsten natürlich. Denn die Forderung nach „Natur pur“ und „Öko“ ist auch in Sachen Make-up und Shampoo längst Mode geworden. Ein Trend, dem die Hersteller Rechnung tragen: In den Kosmetikregalen der Drogerien und Kaufhäuser sind sie en gros zu finden, die Produkte „aus natürlichen Rohstoffen“ mit „naturidentischen Stoffen“ oder „100prozentig abbaubar“. Und Läden, die schön gestylte Cremes, Shampoos und Seifen aus allerlei „Naturessenzen“ anbieten, finden sich inzwischen in jeder Kleinstadt.

Doch wieviel Natur ist eigentlich drin in dem, was als „Naturprodukt“ deklariert daherkommt? Und wie unterscheidet der Verbraucher Chemie und Natur? Willkommen auf dem Markt der Illusionen, denn mitunter steckt in der „Naturpflege“ vor allem Chemie. Die Verbraucherzentrale Baden- Württemberg nennt als Beispiel mit Formaldehyd konservierte „Biobäder“, Reinigungsmilch „aus reinem Mandelöl“ – ohne Mandelöl – oder mit Teerfarbstoffen gefärbte „Ei“-Shampoos.

Gesetzliche Grundlagen über die Inhaltstoffe bei Naturkosmetik gibt es derzeit nicht. Wer wissen will, was wirklich drin ist, steht machtlos vor Deklarierungen auf Packungen in Fachchinesisch, mit denen sich so gut die kleinen Lügen über die wahre Zusammensetzung eines Produktes kaschieren lassen. Bleiben nur noch ein Chemiestudium oder die Aussagen von Verbänden und Institutionen. Doch auch hier ist das Angebot an Definitionen, Empfehlungen, Richtlinien und Auflistungen unübersehbar.

Die strengste Richtlinie für die Produktion von Naturkosmetik kommt vom Demeter-Bund. „Die erfüllt fast kein Herstellungsbetrieb“, sagt Reiner Plum vom Demeter-Marktforum. Er gilt als Hardliner unter den Ökoproduzenten.

Wer seine Naturkosmetik nach den Richtlinien des Bundesverbandes Naturkost Naturwaren (BNN) produziert, erfüllt ebenso hohe Anforderungen: Von den Inhaltsstoffen, der Verarbeitung über Verpackung bis zur Reinigung sind alle Bereiche weitläufig behandelt. Im Anhang findet sich eine Positiv- und Negativliste. Wieder was für den suchenden Verbraucher: Augentrostextrakt, Orangenschalenöl, Lindenblütenwasser dürfen auf die Haut, Liposome, Siloxan-Derivate, halogenorganische Verbindungen – Finger weg, wenn's Natur pur sein soll.

Bei den Verbänden konventioneller Hersteller reagiert man auf „natürlich“ leicht allergisch: „Oh Gott“, stöhnen sie auf die unverfängliche Frage „Was ist Naturkosmetik?“. Der Industrieverband Körperpflege und Waschmittel hingegen (IKW), in dem die großen Kosmetikhersteller organisiert sind, zieht eine Stellungnahme des Bundesgesundheitsministers aus dem Jahr 1993 aus der Schublade: „Anforderungen an Naturkosmetika“ lautet der Titel. Auf Fragen gibt es keine Antwort, dafür die Kopie einer ebenfalls aus dem Jahr 1993 stammenden Pressemitteilung, in der es heißt: „Der IKW begrüßt diese Initiative des BMG, da somit ein Ende der langwierigen Diskussion zur Definition von Naturkosmetika absehbar ist.“ Bis „zum Erlaß genereller gemeinschaftlicher Bestimmungen“ werden alle verwendeten Inhaltsstoffe in der Etikettierung angegeben. Doch wer sollte deren Bedeutung entschlüsseln?

Mit der strengen Ökoansicht auf der einen Seite und der industriellen auf der anderen ist das Spektrum der Meinungen noch lange nicht erschöpft. „Man kann nicht päpstlicher sein als der Papst“, sagt beispielsweise Peter Malaise und schiebt gleich hinterher: „Richtlinien wie die des BNN und des IKW sind nix.“ Malaise ist Generalsekretär der Environmental Detergent Manufacturers Association (EDMA). 1993 gegründet, will dieser „Interessensverband von ökologisch orientierten Wasch-, Reinigungsmittel- und Kosmetikherstellern“ mit Sitz in Belgien und Vertretungen in Deutschland „auf Organisationen, Politiker und weitere Meinungsträger Einfluß nehmen“. Und auch der EDMA arbeitet an einer Richtlinie. Als voraussichtlicher Erscheinungstermin wird das Frühjahr 1998 genannt. Als vordringliches Ziel der EDMA nennt Malaise Transparenz. „Wir wollen eine klare Suppe für den Konsumenten.“ Heißt: „Wir wollen realistisch sein und die Frage der Ökologie wirklich mit ins Spiel bringen.“ Realistisch seien nach EDMA: eine Kombination von BNN („zu dogmatisch“) und IKW („Seifenjungs“). „Wir wollen auch Rohstoffe aus kontrolliert biologischem Anbau, wissen aber, daß es – schon rein mengenmäßig gesehen – noch eine Weile dauert, bis man das garantieren kann. Und das sollte dem Verbraucher auch gesagt werden.“

Und wie soll der Verbraucher Natur erkennen? Keine Lösung dafür aus Belgien: „Im Moment kann man nichts tun.“ Auch Institutionen wie die Stiftung Warentest sind nach Malaises Einschätzung – und da geht er mit Leuten wie Reiner Plum konform – „mit Systemfehlern behaftet“. Beim Test würden oft einzelne Bestandteile vernachlässigt.

Fazit: In diesem Wirrwarr von Richtlinien, Definitionen und Maßgaben gibt es offenbar nur einen Halt: Kaufentscheidung im Sinne jener Richtlinie, die der eigenen Überzeugung am nächsten kommt. Naturkosmetik ist eben Einstellungssache. Martina Keller

Natur pur oder Liposome? Wer Naturkosmetik will, ist oft aufgeschmissen Foto: Daniel Biskup