"Von wegen Sisyphus"

■ Die Informationsflut so kanalisieren, daß sie auch die Oma angeht: Gabi Bauer, die Neue in den "Tagesthemen", hat eine hehre Auffassung von Journalismus, sagt sie

taz: Warum wollen Sie sich eigentlich jeden Tag in die undurchdringliche Nachrichtenflut begeben?

Gabi Bauer: Der Anfang und der Grund sind klar: Immer wieder journalistische Neugierde. Die Chance, die Informationsflut, die auf die Menschen einstürzt, ein bißchen zu kanalisieren, den Zuschauern beim Einordnen zu helfen. Fragen: Warum ist das so, was steckt hinter diesen Worten, was ist damit beabsichtigt, vor welchem Hintergrund ist es zu verstehen?

Ist das nicht auch eine Sisyphusarbeit? Die Flut kommt täglich in der gleichen Menge wieder neu.

Was heißt Sisyphusarbeit? Jedes einzelne Thema ist doch wieder neu spannend. Und geht die Zuschauer an, kann wichtig für sie sein. Da habe ich vielleicht eine sehr traditionelle Auffassung von der Funktion des Journalismus. Aber das sind so hehre Worte.

Aufklärung?

Nee, das hört sich zu pathetisch an. Einfach: Journalismus spielt eine wichtige Rolle. Als kritischer Blick der Bürger auf ihren Staat, auf alles, was Macht und Lobby hat. Und so verstehe ich mich, und so versteht sich auch die Redaktion. Ich habe mal einen Zuschauerbrief nach einer Wahlberichterstattung bekommen. Da schrieb ein älterer Herr, er habe durch die Sendung verstanden, wie es funktioniert. Da muß ich ehrlich sagen, darauf war ich ein bißchen stolz. Das ist es, was ich meine: Das, was passiert, in solche Kanäle zu bringen, daß es meine Oma angeht oder meine Freundin, die den ganzen Tag als Lehrerin arbeitet. Man kann es auch ganz bescheiden ausdrücken: Wir sind Dienstleister, die den Menschen Information und Hilfestellung bieten. Die für sie fragen stellen und komplizierte Zusammenhänge durchleuchten, die etwas mit ihrem Leben zu tun haben.

Man kann auch ein angenehmes Leben führen, ohne den Krieg in Bosnien begriffen zu haben.

Oberflächlich, ja. Wenn man dann nicht anschließend laut fragt, was die ganzen Flüchtlinge hier zu suchen haben. Eine gewisse Toleranz kann nur durch Verständnis entstehen.

Kann man Nachrichten mit Leidenschaft betreiben?

Unter Leidenschaft stelle ich mir etwas anderes vor. Aber es ist ein Beruf, von dem ich sicher bin, daß er gut ist, und der mir wichtig ist. Wenn ich ein Interview versemmelt habe, schlafe ich nachher richtig schlecht.

Früher gab es gerade bei „ARD-aktuell“ offene politische Einflußnahme. Können die „Tagesthemen“ heute so kritisch sein, wie sie wollen?

Die „Tagesthemen“ sind so kritisch, wie sie wollen. Ich weiß, daß die Redakteure bei den „Tagesthemen“ sich von ihren journalistischen Kriterien leiten lassen. Außerdem haben wir eine starke Chefredaktion, die eventuelle Einflußnahmeversuche abfedert. Im übrigen glaube ich nicht, daß politische Einflußnahme beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk jemals stärker war als in vielen Regionalzeitungen.

Und was ist mit Postenbesetzungen?

Mein Fall kann gut illustrieren, wie es mittlerweile ist: Die ARD hat sich bei mir nicht nach irgendeiner politischen Richtung entschieden. Ich bin in keiner Partei, fahre auf keinem Ticket oder ähnliches.

Viele „Tagesthemen“-Moderatoren haben schnell auch über ihre Moderation hinausgehende öffentliche Rollen gesucht. Wäre das auch was für Sie?

Repräsentation für die ARD finde ich völlig in Ordnung – schließlich ist sie mein Arbeitgeber, und schließlich bin ich von ihr überzeugt. Ganz anders ist es mit allen anderen öffentlichen Rollen, die ich mir sehr sparsam aussuchen werde.

Keine Daimler-Benz-Präsentation oder dergleichen mit Ihnen?

Das, finde ich, kann es nicht geben. Wenn ich mich als Jorunalistin um objektive Arbeit bemühe, kann ich nicht irgendwelche Werbung machen. Eine Informationssendung wie die „Tagesthemen“ lebt davon, daß man ihr vertrauen kann.

Anders als früher branden bei dem Wechsel nun ja keine Zweifel mehr daran auf, ob Frauen etwas in den Nachrichtenredaktionen zu suchen haben.

Ich habe so etwas, seitdem ich diesen Job mache, noch nie mitbekommen. In all den Redaktionen, in denen ich gearbeitet habe, wurden Frauen, auch im Nachrichtenbereich, genauso ernst genommen wie Männer.

Vorausgesetzt, das hat sich alles geändert. Wodurch?

Vielleicht werden auch Männer vernünftiger? Vielleicht ein wenig später, aber irgendwann dann doch. Nein, ernsthaft: Ich glaube nicht, daß heute noch irgend jemand die Frage diskutiert, ob Frauen journalistisch und analytisch denken können. Eine andere Frage ist die der Hierarchien. In die dringen Frauen noch immer schwerer vor. Die Hürden sind riesig, immer noch. Ich halte es auch für wichtig, diese gesellschaftspolitische Debatte zu führen. Aber das hat nichts mehr mit der Akzeptanz im Nachrichtenjournalismus zu tun. Interview: Lutz Meier