Nur der Wecker muß meckern

Die deutschen Kunstturner sind bei der WM überraschend erfolgreich und lassen so einen prominenten Kritiker recht kleinlaut werden  ■ Aus Lausanne Karl-Wilhelm Götte

Ganz in Schwarz steht er da. Muskelshirt, Lederjacke, Haartolle. Wäre er einen Köpf größer, könnte der Bizepsumfang enorme Angst einflößen. Andreas Wecker turnt nicht mehr, dafür redet er um so mehr; häufig jedoch ohne einen Arbeitsfilter zwischen Gehirn und Mund. Ehe der Berliner bei der Kunstturn-WM in Lausanne eintraf, eilten ihm bereits Interviews voraus, die den aktiven WM-Turnern übel aufstoßen mußten. Wecker sprach ihnen jede Finalchance ab. „Wenn die 10. werden, ist dies eine Superleistung“, munterte er seine ehemaligen Mitstreiter auf. Aber auch Kunstturn-Chef Eberhard Gienger war nicht faul: „Wecker verhält sich unmöglich. Er kommt mir vor wie ein Pensionär, der nicht mehr gebraucht wird und jetzt blöd rumquatscht.“

Die Turner gaben dem Reck- Olympiasieger die passende Antwort an den Geräten. Sie qualifizierten sich als 5. für das Mannschaftsfinale, in dem sich China vor Weißrußland und Rußland den Titel sicherte. Die Deutschen konnten immerhin den 6. Platz belegen. Insbesondere die beiden Berliner WM-Neulinge Daniel Farago und der erst 18jährige Dimitri Nonin steuerten wichtige Punkte am Pauschenpferd und beim Sprung bei. Dazu erreichten Walerie Belenki (Pauschenpferd und Ringe), Sergej Charkow (Barren) und René Tschernitschek (Sprung) zusammen vier Finalplätze an den Geräten, was kaum erwartet wurde. Tschernitschek muß leider wegen einer Knieverletzung passen, aber Andreas Wecker stand blamiert da. „Ich ziehe den Hut vor den Jungs“, sagte er kleinlaut, „natürlich habe ich mich sofort bei allen entschuldigt.“ Und legte dann doch noch nach: „Vielleicht habe ich ihnen doch den entscheidenden Druck gemacht.“

„Was maßt sich der Gienger an?“ fiel ihm noch etwas ein. „Der stand doch als Weltmeister nie wie ich alleine auf dem obersten Podest, seine Meinung interessiert mich überhaupt nicht.“ Als Ex- Turner sieht sich Andreas Wecker nun offenbar in heftiger Popularitätskonkurrenz zum Ex-Turner Gienger. „Ja, Gienger kennt man in Westdeutschland, aber im Osten und vor allem im Ausland, gerade in den USA bin ich bekannter“, behauptet Wecker und erzählt ein Erlebnis, das er beim Grenzübertritt in die Schweiz hatte: „Da haben mich die Zöllner aus dem Auto geholt und mich um 20 Autogramme gebeten.“

Wecker setzt jetzt bei seiner in Planung befindlichen Vermarktung in den USA auf das Management von Kufenstar Katarina Witt. „Im Januar werde ich dort die Profitour mitmachen, dagegen wird Ebse nur ein Schatten sein“, sieht sich Wecker schon vor dem Start seiner Profikarriere als eindeutiger Sieger.

Rainer Hanschke, der Cheftrainer der Kunstturner aus Cottus, dem Weckers Gemecker schon vor der WM gegen den Strich ging, freut sich vor allem darüber, „den negativen Trend seit 1994 gestoppt und sogar umgekehrt zu haben“. Er will mit der Überraschungsriege von Lausanne in drei Jahren nach Sydney: „Sprung und Boden sind noch zu schwach, da sind die Ausgangswerte am unteren Limit“, beschreibt der Olympiadritte von 1976 mit dem DDR-Team die Reserven der Mannschaft. Eine ungebetene Kommentierung von Wecker wird dann, wenn man Giengers Prognose folgt, nicht mehr stattfinden: „Wenn Andreas so weitermacht und mit dem DTB nicht kooperiert, kennt ihn in zwei Jahren keiner mehr.“