Bomben und Blockaden

■ Ein Großteil der Anschläge von Hamas kann nur verhindert werden, wenn der Friedensprozeß nicht blockiert wird

Es ist nicht Netanjahu. Es ist nicht Arafat. Es ist Hamas, die den Gang des Friedensprozesses diktiert. Mit dem 19. Selbstmordanschlag seit dem Oslo-Abkommen im Jahre 1993 hat Hamas erreicht, daß der politische Prozeß endgültig zum Stillstand gekommen ist. Der Besuch von US-Außenministerin Madelaine Albright in der kommenden Woche gilt, wenn auch indirekt, Hamas. Wie beim Besuch ihres Gesandten Dennis Ross vor einem Monat wird es nur ein Thema geben: Sicherheit. Und Sicherheit kann es nur geben, wenn Hamas militärisch oder politisch unter Kontrolle gebracht wird.

Aber es ist keineswegs ausgemacht, daß dies gelingt. Weder die israelische Regierung und ihre hochgelobten Sicherheitsdienste noch die Autonomiebehörde mit ihren zahlreichen Geheimdiensten haben sich bislang als fähig erwiesen, Hamas wirklich zu kontrollieren. Entgegen ihren vollmundigen Wahlversprechungen vor anderthalb Jahren muß auch die Regierung von Benjamin Netanjahu zur Kenntnis nehmen, daß sie eine absolute Sicherheit vor Selbstmordanschlägen nicht garantieren kann.

Dafür allein Arafat verantwortlich zu machen, ist allzu billig. Der militärische Flügel von Hamas und die Auslandsführungen in Amman und Damaskus lehnen den Friedensprozeß grundsätzlich ab. Ihr fundamentalistischer Anspruch, der von der Hamas-Führung im Lande aus politischen Erwägungen nicht geteilt wird, gilt einem islamischen Palästina in den Grenzen von 1948. Dafür jagen sie sich selbst und andere in die Luft. Eine Garantie dafür, daß diese Anschläge aufhören, wenn Israelis und Palästinenser in ihrer Mehrheit zu einem Zusammen- oder Nebeneinanderleben in diesem Land gefunden haben, gibt es grundsätzlich nicht. Und doch erfolgen die Anschläge von Hamas nicht im luftleeren Raum. Ihr Timing ist ein wesentliches Element ihrer Wirksamkeit.

Wann immer der Verhandlungsprozeß blockiert ist, treten die Selbstmordattentäter von Hamas in Aktion. Und immer dann entfalten sie ihre größte Wirksamkeit, weil sie die Blockade des Verhandlungsprozesses vertiefen. Und immer dann kann die Organisation auf den höchsten Grad an stillschweigender oder offener Zustimmung bei vielen Palästinensern rechnen. Genau deshalb kann zumindest ein Großteil der Hamas-Anschläge nur verhindert werden, wenn der Friedensprozeß nicht blockiert wird.

Hier kann sich die Regierung Netanjahu nicht ohne weiteres aus der Verantwortung stehlen. Selbst jene, die der israelischen Regierung recht geben, wenn sie sagt, Arafat nutze die Existenz von Hamas als Druckmittel gegen Israel, können schwer leugnen, daß die israelische Politik der Landenteignungen, des Siedlungsbaus und die alltägliche Erniedrigung und Mißhandlung von Palästinensern durch Soldaten oder Siedler die Ursache für die Blockade des Friedensprozesses ist.

Schon unter der Regierung von Jitzhak Rabin wurde der Zeitplan von Teilrückzügen und Vereinbarungen immer wieder hinausgezögert. Das israelische Kabinett hat jetzt erneut den Beschluß gefaßt, den für diesen Monat vorgesehenen Teilrückzug wegen der Terroranschläge auszusetzen. Und Kommunikationsdirektor David Bar Ilan kündigte Operationen in den Autonomiegebieten nach Entebbe-Art an. Seit den Oslo-Vereinbarungen ist der Lebensstandard der Palästinenser um 40 Prozent gesunken. Terror gedeiht nur dort, wo Hoffnungslosigkeit herrscht.

Es ist das erklärte Ziel der jetzigen israelischen Regierung, den Palästinensern nicht mehr als 50 Prozent der 1967 besetzten Gebiete zurückzugeben, ihre Autonomiegebiete in abriegelbare Bantustans zu verwandeln, die militärisch leicht zu kontrollieren sind. Dies aber widerspricht den Vereinbarungen von Oslo. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, daß die Anschläge zunehmen werden, sollte eine israelische Regierung eine solche Lösung erzwingen.

Vor den Terroranschlägen in Jerusalem lag der politische Druck zur Erfüllung der Oslo-Vereinbarungen bei der israelischen Regierung. Nicht nur Europa, auch die US-Regierung sah in Netanjahus Politik das Hindernis für die Fortsetzung der Verhandlungen. Der Terror von Hamas hat Netanjahu vorerst von diesem Druck befreit. Auch Madelaine Albright verlangt jetzt von Arafat ein hartes Durchgreifen gegen Hamas-Anhänger.

In den Augen der Palästinenser aber wirken die Bomben der Hamas nicht weniger zerstörerisch auf den Friedensprozeß als die Bulldozer der israelischen Regierung. Doch die US-Regierung hat sich einen Vergleich von Bomben und Bulldozern ausdrücklich verbeten. Madelaine Albright wird die israelischen Sicherheitsansprüche bei Arafat einklagen. Der US-Vorschlag, sofort mit den Verhandlungen über den endgültigen Status zu beginnen, könnte dennoch auf den Verhandlungstisch kommen. Auch die US-Regierung weiß, daß der Friedensprozeß ansonsten weiterhin in der Terrorfalle steckt. Netanjahu hat den US-Vorschlag bereits akzeptiert in der Hoffnung, daß die USA seinen Plan unterstützen werden. Trotz der Befürchtung, jetzt weit weniger zu bekommen als erhofft, wird Arafat sich den Verhandlungen schwerlich entziehen können. Bislang hat die US-Regierung die politischen Forderungen der Palästinenser stets als zweitrangig behandelt. Nur wenn sich das ändert, könnte auch Hamas der Nährboden entzogen werden. Georg Baltissen