Air-France-Chef geht von Bord

Christian Blanc wollte die Privatisierung des Luftfahrtunternehmens erzwingen. Doch die französische Regierung fährt Weder-noch-Kurs  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Christian Blanc wollte die Air France partout in die Privatisierung steuern. Nach vier Jahren Radikalsanierung, bei der der Unternehmenschef 20 Milliarden Francs (rund 6 Mrd. Mark) aus dem Staatssäckel zur „Rekapitalisierung“ erhalten und Tausende von Arbeitsplätzen abgebaut hatte, wollte er dieses Jahr an den Aktienmarkt gehen. Das war der rot- rosa-grünen Regierung in Paris zu früh. Schließlich hatte sie im erst drei Monate zurückliegenden Wahlkampf eine Kampagne gegen den Ausverkauf der letzten Staatsunternehmen gemacht. Nachdem ein letzter Erpressungsversuch – „Privatisierung, oder ich gehe“ – nicht gefruchtet hatte, schmiß der 55jährige Industriekapitän gestern das Handtuch.

Den Ausschlag für den Rücktritt nach einem monatelang gärenden Konflikt hatte ein Interview des kommunistischen Transportministers Jean-Claude Gayssot Mitte der Woche in der KPF- Zeitung L'Humanité gegeben. Darin machte der Ex-Eisenbahner Gayssot, der bei seinem Amtsantritt im Juni erklärt hatte, er wolle kein „Privatisierungsminister“ sein, einen Kompromißvorschlag für die Air France. Er plädierte dafür, das Luftfahrtunternehmen mit heute noch rund 36.000 Beschäftigten „weder zu privatisieren, noch den Status quo beizubehalten“, sondern teilweise zu privatisieren. Mit diesem Vorschlag blieb Gayssot der Methode des „Weder- noch“ treu, die das rot-rosa-grüne Kabinett systematisch anwendet. Langfristig schloß er damit jedoch nicht einmal die Totalprivatisierung aus. Schon bei mehreren anderen Entscheidungen im staatlich beherrschten Unternehmensbereich hat die neue Regierung gezeigt, daß sie bereit ist, ihre Wahlkampfversprechen über Bord zu werfen. So stimmte sie der Schließung des belgischen Renault-Werkes in Vilvoorde zu, machte den Weg frei für die Zweiteilung der Eisenbahngesellschaft SNCF und die Privatisierung des Rüstungs- und Elektronikkonzerns Thomson, und sie signalisierte außerdem ihre Bereitschaft zu einer Teilprivatisierung von France Télécom.

Für Air-France-Chef Blanc, der sich in seiner Karriere in der französischen Politik und Wirtschaft einen Namen als harter Unterhändler gemacht hat – unter anderem feilschte er als zuständiger Präfekt mit den US-Amerikanern um die Lizenz für das Eurodisneyland im Osten von Paris und sanierte die Pariser U-Bahn RATP – war der Kompromiß nicht ausreichend. Nach seiner Ansicht muß die Air France umgehend privatisiert werden, um in dem seit 1. April völlig freien europäischen Luftraum im Wettbewerb gegen die British Airways und Lufthansa bestehen zu können. Außerdem könne das Unternehmen erst nach einer Privatisierung internationale Allianzen schließen, argumentierte Blanc. Den gegenwärtigen Zeitpunkt, der für die Privatisierung schon seit Jahren angepeilt war, hielt Blanc auch deswegen für günstig, weil das Staatsunternehmen im Geschäftsjahr 1996/97 erstmals seit sieben Jahren aus den roten Zahlen herausgekommen war. Im Vergleich zu den rund 1,8 Milliarden Mark Profit der British Airways und dem diesjährigen Gewinnrekord der Lufthansa, die im Oktober totalprivatisiert wird, nehmen sich die 210 Millionen Francs (63 Millionen Mark) der Air France freilich recht mager aus.

Blanc, der einstmals sozialistisches Parteimitglied war, sich aber in den letzten Jahren dem gescheiterten konservativen Regierungschef Alain Juppé angenähert hat, will im Oktober gehen. Wer dann die Leitung der Air France und ihrer immer noch defizitären Tochter Air France Europa, der früheren Air Inter übernimmt, war gestern noch offen. Gewerkschaftssprecher, die im Zuge der harten Streiks während der letzten Jahre bei Air France jede Menge Sträuße mit Blanc ausgefochten haben, beklagten sich gestern öffentlich über die ständigen Führungswechsel. Die konservative Zeitung Figaro ihrerseits klagte über den „kommunistischen Sieg“.