Rock für Individualisten

■ Chinas Rockgruppe "1989" taucht aus dem Underground auf. Seit dem Revoltejahr in Kneipen verbannt, feiert sie ihr Comeback ausgerechnet im Arbeiterstadion Pekings. Perestroika der kommunistischen Kulturpolitik? Vo

Rock für Individualisten

Eine Woche noch bis zum großen Parteitag der chinesischen Kommunisten, und in Peking beobachtet man die üblichen Vorzeichen: Polizisten beherrschen das Stadtbild, Freiwillige sorgen für Verkehrssicherheit und in den Medien regiert die Parteipropaganda. Wer zu dieser Stunde nach Dissidenten sucht, muß mit Verfolgung und langen Polizeiverhören rechnen. Kurz: Peking ist im Griff der roten Kaiser.

Doch das ist nur die eine Seite der Hauptstadt. Die andere zeigte sich gestern im Pekinger Arbeiterstadion. Dort trat vor der größten Bühne der Hauptstadt der chinesische Rockstar Zang Tianshuo auf. Ein zweites Konzert folgt heute abend, und ganz Peking staunt: Denn Rockmusik ist eigentlich von der Partei geächtet worden. Sie gilt als Generationsprodukt der achtziger Jahre, als Chinas Jugend rebellierte. Der 33jährige Vollblutrocker liefert mit kahlgeschorenem Kopf, tiefer Stimme und heißem Tanz das Gegenprogramm zum Parteikongreß: Seit zehn Jahren gilt Zang als Symbolfigur des Anti- Establishment. Seine Musik ist in den offiziellen Medien verboten, seine Band trägt den provozierenden Namen „1989“ – gegründet im Jahr der Studentenrevolte auf dem Tiananmen-Platz. Nun aber singt der Szeneheld kurz vor dem Parteitag am gleichen Ort, wo Staats- und Parteichef Jiang Zemin im Juli die Wiedervereinigung mit Hongkong verkündete.

Der Musiker konnte es selbst kaum fassen. Es ist sein erster großer Auftritt nach Jahren des Randdaseins in Pekinger Spelunken. „Seine eigenartige Musik bringt Punk, Rap und Rock zusammen“, schrieb die chinesische Theater- und Filmzeitung, wohlwissend daß die Partei keine dieser Musikrichtungen offiziell anerkennt. Nur einmal hat Zang bisher vor größerem Publikum gespielt. „Endspurt zum Arbeiterstadion“ verkündete nun die Pekinger Lebenszeitung und pries Zangs sozialromantische Texte als „Ausdruck wahrer Gedanken und Gefühle seiner Generation“. Das war politisch gemeint: Denn verständnisvolle Anspielungen gegenüber der Generation der Studentenrevolte waren in der zensierten Presse bisher nicht zu finden.

Nun aber deutet vieles daraufhin, daß die Kultur der 89er wieder auflebt, und die Partei nichts dagegen hat. Zangs Konzert reiht sich in eine Folge von Comebacks der wichtigsten Rockmusiker Chinas ein. Schon im August traten nach langer Konzertpause die Hardrockband „Tang-Dynasty“ und der „Vater des chinesischen Rock'n Roll“, Cui Jian, in Peking auf. Beide Bands hatten 1989 vor den Studenten auf dem Tiananmen- Platz gespielt und seither Schwierigkeiten, zurück ins Musikgeschäft zu finden. Zusammen mit Zang bilden Cui, der „chinesische Bob Dylan“, und Tang-Dynasty so etwas wie die hiesigen „Deep Purple“, die Crème de la crème des chinesischen Rock.

„Wir haben nie aufhören wollen und uns stets bemüht, Konzerte zu geben“, erzählt ein aufgekratzter Cui Jian (36) über die Jahre der Ausgrenzung, die nun vielleicht zu Ende gehen. Der Rockpoet, dem alle Starallüren fremd sind, hat ein Millionenpublikum wie kein anderer chinesischer Anti-Establishment-Künstler. Jedes seiner drei mit Mühe veröffentlichen Alben waren Bestseller, die als Raubkopien auch die hintersten Provinzen erreichten. Cui äußerte sich stets regimekritisch. In Peking sang er jetzt das Titellied seines jüngsten Albums „Von der roten Fahne gelegte Eier“. Cuis Worte sind unmißverständlich: „Die rote Fahne flattert noch im Wind / Ohne bestimmte Richtung / Die Revolution ist noch im Gange / Die Alten haben noch mehr Macht.“ Kürzer und prägnanter läßt sich das Parteitagsgeschehen in der kommenden Woche kaum beschreiben.

Indessen hoffen die Regierenden, daß nicht alle Rockmusiker so sind wie Cui. Sein Kollege Zang schlägt bereits zahmere Töne an und hat sich damit das Konzert im Arbeiterstadion verdient. Ähnlich inszeniert auch die Viererband Tang-Dynasty ihr Comeback. „Nach der Wende 1989 erfaßte uns ziemliche Leere. Wir gingen in die östliche Stadt Taiyuan und spielten dort muslimische Instrumente“, berichtet Sänger Ding Wu. Doch heute will Tang-Dynasty die Zukunft optimistisch sehen. „Wir reden nicht von Hindernissen. Jede Musik, auch Rock, braucht eine stabile politische Umgebung. Wir wollen niemand zur Rebellion antreiben“, rechtfertigt Leadgitarrist Kuo Kaiser, der als Sohn chinesischer Eltern in Amerika geboren wurde, den neuen Ton der Band.

Ihre Musik hat Tang-Dynasty jedoch nicht geändert: Heavy Metal pur – für Kenner vermutlich nicht vom Feinsten, doch in China unglaublich populär. Auf die chinesischen Texte kommt es eben an. Das jüngste Pekinger Konzert der Gruppe brachte in einer kleinen Bar 200 Leute in Ekstase. Höhepunkt war die „Internationale“ in der chinesischen Hardrockversion.

Doch wie lange wird die Partei hier noch zusehen? „Rock ist eine symbolische und emotionale Befreiung. Er kann die eigentlichen Probleme nicht lösen“, behauptet Cui Jian. Auch die Machthabenen sehen die Musik daher als Beitrag zur Alltagsbewältigung, welcher die kulturelle Hegemonie der Partei nicht angreift. Andererseits belegen die chinesischen Erfahrungen von 1989 die enge Verknüpfung von Rockmusik und antikommunistischen Protestbewegungen. Zudem ist in China die Tradition der Jugendrebellion – verstärkt durch die Kulturrevolution, in der Mao mit der autoritäten Orientierung gegenüben den Alten brach – besonders groß.

Schon glauben die coolen Jungs von Tang-Dynasty, daß sie ihre eigene Identität in China leichter bewahren können als dies derzeit für Gruppen in den USA möglich ist. „Die Situation hier ist vergleichbar mit den siebziger Jahren in den USA. Wir Künstler kontrollieren noch den Markt“, glaubt Kuo Kaiser. Zang Tianshuo spricht von der großen Hoffnung der chinesischen Jugend auf neue Musik. Musiker und Publikum seien sich in ihren Bedürfnissen einig – und auf die Partei, so wird suggeriert, komme es nicht mehr an. Doch man wird abwarten müssen. Kommende Woche beginnt die vielverkündete Ära Jiang Zemins. Es wäre ein gutes Zeichen, wenn mit ihr auch die zweite Ära des chinesischen Rock beginnen würde.