Ein europäisches Deutschland

■ Christian Hacke hat sein Buch „Weltmacht wider Willen“ – einst ein Tabubrecher – gründlich überarbeitet

Christian Hackes Buch über die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland gehört mit Fug und Recht zu den Standardwerken deutscher Außenpolitik, ja vielleicht sogar schon zu den „Klassikern“. Es ist eine gelungene Gesamtdarstellung über einen Zeitraum von mehr als 50 Jahren. Als es 1988 als „Weltmacht wider Willen“ ohne Fragezeichen erschien, löste es eine kontroverse Diskussion aus. Hacke hatte mit diesem prätentiösen Anspruch gegen einen bundesdeutschen Komment verstoßen: Aufgrund der deutschen Vergangenheit könne und dürfe das Land niemals wieder eine Weltmachtrolle spielen.

Die Zeiten haben sich geändert. Aber haben sich die Zeiten tatsächlich geändert? Von vielen Staaten wird nach den Umwälzungen der Jahre 1989 ff. eine führende Rolle Deutschlands in den internationalen Beziehungen geradezu erwartet. Die politische Elite der Bundesrepublik hat dieses Verlangen selbst dadurch genährt, als sie mit Vehemenz ihren Anspruch auf einen permanenten Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vorgetragen hat.

Christian Hacke, Professor für Internationale Beziehungen an der Bundeswehr-Universität Hamburg, hat sein Buch gründlich überarbeitet. In elf Kapiteln gibt er einen Überblick über die Grundzüge und Fundamente bundesdeutscher Außenpolitik bis heute. Als primärer Orientierungsrahmen dienen ihm die verschiedenen Bundesregierungen. Neu ist das Kapitel über Deutschlands Rolle an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Hier thematisiert Hacke das „nationale Interesse“ als ein wichtiges Element deutscher Außenpolitik. Hacke gehört zu den wenigen Vertretern der realistischen Denkschule im Fach Internationale Beziehungen, die keine Skrupel haben, diese zentrale Kategorie im außenpolitischen Handeln von Staaten auch zu benennen. Obwohl dieser Begriff von den Nazis pervertiert wurde, hat er für andere Staaten nie seine dominante Rolle verloren.

Mit der „Zeitenwende“ meldete sich ein Totgesagter auf der internationalen Bühne wieder zurück: der Nationalstaat und mit ihm das „nationale Interesse“. Nach Hacke wurde die „nationale Interessenpolitik“ dämonisiert und mit ihr die Nation. Die gesellschaftsorientierte Außenpolitik aber und damit die Integration wurden ideologisiert. In linken, liberalen, aber auch in konservativen Kreisen stößt „nationales Interesse“ auf heftige Ablehnung. Für Hacke verweist dieser Begriff und das Konzept auf „Sachlichkeit und Kompromißfähigkeit“; die internationale Staatenwelt könne ohne ihn nur „unzureichend analysiert werden“. Seit der deutschen Einheit habe sich der Widerspruch zwischen Staatsräson und nationalem Interesse aufgelöst. Jetzt gehe es um den „Verhältnis von Nation und Integration“.

Hackes Mahnung, das nationale Interesse in der deutschen Außenpolitik zu berücksichtigen, hat nichts mit nationalen Größenwahn oder Nationalismus zu tun. Dies wird fälschlicherweise dem Nationalstaat immer unterstellt. Was Hacke vorschwebt – und dies sei eine Chance für Deutschland –, ist ein nationales Interesse, das erst in Verbindung mit universellen Werten einen Sinn ergebe und kooperativ verfolgt werden müsse. Ziel sei das „europäische Deutschland“, das einen Ausgleich zwischen nationalen und europäischen Interessen vorlebe.

Etwas pathetisch gibt der Autor zum Schluß die Grundlage für die „Formulierung der nationalen Interessen der Deutschen“ preis: die westliche Zivilisation und das Erbe des weltbürgerlichen Humanismus. Wenn sich dieses Erbe hinter dem Konzept des „nationalen Interesses“ verbirgt, kann Entwarnung gegeben werden. Auf diesem Fundament kann kein neuer deutscher Größenwahn entstehen. Ludwig Watzal

Christian Hacke, „Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Weltmacht wider Willen?“ Mit einem Vorwort von Gorden Craig. Ullstein Verlag, Berlin 1997, 605 Seiten, 34.90DM