Eine Flut aus vielen Quellen

Vom Nutzen der ungebändigten Natur der großen Ströme: Daniel Schwartz' Fotoband und Lesebuch „Delta. Wasser, Macht und Wachstum in Asien“ – ein nützliches Kompendium zu asiatischer Ökonomie, Politik und Geographie  ■ Von Brigitte Werneburg

Auf den ersten Blick scheinen die dramatischen Schwarzweißfotografien nur eines der bekannten Bilder Asiens zu reproduzieren. Die Menschen sind auf der Flucht vor dem Wasser. Ihr Hab und Gut schleppen sie schwer auf dem Rücken, manchmal balancieren sie es auch scheinbar leichter auf dem Kopf. Nachdem die Oder kürzlich über ihre Ufer getreten ist, haben wir ja ein neues Gefühl für diese Situation und die nachfolgenden Gefahren wie verseuchtes Wasser und mangelndes Trinkwasser.

Auf den zweiten Blick allerdings entpuppt sich der große Band „Delta. Wasser, Macht und Wachstum in Asien“ des 42jährigen Schweizer Fotografen Daniel Schwartz als ein durchaus ungewöhnliches Projekt. Denn ebenso gut wie ein Fotobuch ist „Delta“ auch ein Lesebuch. Ein beispielhaftes Kompendium zur Geographie, Politik und Ökonomie Asiens, das sich – wie das Delta des Ganges oder das des Mekong – aus vielen Quellen speist. Schwartz stellt lange Passagen aus historischen Quellen oder Zeitungsberichten neben Ausschnitte aus wissenschaftlichen Untersuchungen und Programmschriften der verschiedenen UN-Organisationen.

So ist dem Text der Friedensnobelpreisträgerin des Jahres 1991, Aung San Suu Kyi, zu entnehmen, daß es in Birma eine Tradition gibt, den König selbst zu den fünf Gefahren oder Feinden des Landes zu rechnen, und in einer britischen Quelle von 1882 kann man lesen: „...obwohl alle diese Aufgaben zu Lasten der Staatskasse von Britisch-Indien gehen, ist das britische Burma bis jetzt in finanzieller Hinsicht mehr als unabhängig gewesen. Eine beträchtliche Zeit lang hat es der Staatskasse einen deutlichen Überschuß von einer Million Pfund Sterling eingebracht. Die bloßen Zahlen sind an sich schon verblüffend, doch sie können erst dann wahrhaftig gewürdigt werden, wenn sie vor dem Hintergrund des offensichtlichen, unleugbaren und allgemein anerkannten Wohlstandes der einheimischen Bevölkerung betrachtet werden.“

Anders als bei den großen Strömen läßt sich die Informationsflut leicht eindämmen. In Büchern baut man ihr traditionell in Kapiteln vor. So versammelt „Das Delta im Entstehen“ die Berichte über die Geographie des bengalischen Beckens, über den Anstieg des Meeresspiegels in den vergangenen hundert Jahren und über die großen Zyklonkatastrophen von 1876 und 1991. Diese Berichte gewinnen auf den nachfolgenden Bildseiten, die die Folgen des Sturmes von 1991 dokumentieren, an Anschaulichkeit und Eindringlichkeit.

Mit den Fotografien des Desasters und Elends, den ausgemergelten, verwundeten und toten Körpern, ist allerdings auch ein Anschwellen der Eindrücke bemerkbar, das eine informelle Überflutung andeutet. Freilich gibt Daniel Schwartz dem Leser mit umfänglichen Bildlegenden auch hier den notwendigen Halt. So unerschöpflich die Lektüre ist, die zwischen den Bildern, ihren Unterzeilen und den Textdokumenten wechselt, so perfekt hat sie Daniel Schwartz doch mit der Methode des mehrfach geschichteten Lesestoffs kanalisiert.

Schwartz verwebt Fotografien und Text kontinuierlich: Friesartig fortlaufend hat er unter die großen Textblöcke kleine Fotos gesetzt, während die mehrseitigen Bildpassagen durch die Blöcke der Bildlegenden unterbrochen sind. In diesen Mäandern erzählt er dann vom Nutzen der ungebändigten Natur der großen Ströme, der fruchtbaren Erde, die sie vor sich herschieben, und vom Reichtum der Ernten in ihrem Mündungsgebiet. Diese Fruchtbarkeit steht gegen die Macht der Natur wie gegen die der Politik, die sich in dieser Gegend nicht minder katastrophal bemerkbar macht als die Naturgewalten. Die Menschen überleben trotz alledem. Auch sie sind fruchtbar, und die Städte in den Mündungsgebieten des Ganges und des Brahmaputra, des Irrawaddy, des Mekong oder des Yangzi entwickeln sich zu Megalopolis, wie sie die Welt bisher nicht kannte. Man mag darin die nächste Katastrophe sehen, aber es ist nicht völlig ausgeschlossen, daß der Wohlstand, der im 19. Jahrhundert in Asien herrschte, im 21. wieder erstehen könnte.

In seinen Fotografien der Reisbauern und der Landflüchtlinge in den Millionenstädten stellt Daniel Schwartz' „Delta“ klar, daß der Dreh- und Angelpunkt jeder Entwicklung in dieser Region, die bislang verweigerte, weil für die Macht- und Geldelite riskante, aktive Einbeziehung der Bevölkerung ist.

Daniel Schwartz: „Delta. Wasser, Macht und Wachstum in Asien“. Scalo Verlag, Zürich 1997, 194 S., 163 Abb., 78 DM