■ Vor der Nahost-Reise der US-Außenministerin Albright ist die Lage so kritisch wie lange nicht mehr. Eine Analyse: Mission: impossible?
Eine Magierin sei sie nicht, ließ US-Außenministerin Madeleine Albright den Sprecher ihres Ministeriums mitteilen. Doch um den israelisch-palästinensischen Verhandlungsprozeß wieder in Gang zu bringen, braucht es fast magische Kräfte. Albright gilt als ehrlich, geradeheraus und knallhart. Auch wenn ihr diese Eigenschaften bei ihrem ersten Besuch im Nahen Osten zugute kommen werden, sind die Erwartungen in der Region gedämpft. Der Graben zwischen Israelis und Palästinensern ist gegenwärtig so tief, daß schon eine bloße Fristsetzung zur Wiederaufnahme der Gespräche als Erfolg verkauft werden könnte.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat nach dem jüngsten Selbstmordattentat klipp und klar erklärt, daß Israel sich nicht mehr an die Oslo-Abkommen gebunden fühle, solange die palästinensische Autonomiebehörde nicht die „Infrastruktur des Terrors“ zerstöre. Doch die Autonomiebehörde lehnt die von Netanjahu geforderte Massenverhaftungen islamischer Aktivisten als „israelisches Diktat“ ab. Solange nicht der Funken eines Beweises gefunden sei, daß die Anschläge von palästinensisch kontrollierten Gebieten aus geplant worden seien, stellten willkürliche Massenverhaftungen eine Verletzung der Menschenrechte dar. Gleichwohl räumte der Generalsekretär des PLO-Exekutivkomitees und Unterzeichner der Oslo-Vereinbarungen, Mahmud Abbas (Abu Mazen), ein, daß die israelisch-palästinensische Sicherheitskooperation ein zentrales Element des Oslo-Abkommens ist. Die Autonomiebehörde unternehme jedoch gegenwärtig alles, um den Terrorismus soweit wie nur möglich zu unterbinden, beteuert er. Die PLO habe nach der Mission von US-Unterhändler Dennis Ross im vorigen Monat ausdrücklich die Überwachung der palästinensischen Sicherheitsanstrengungen durch den US-Geheimdienst CIA begrüßt. Während israelische Regierungspolitiker den Palästinensern Versagen, ja Sabotage auf diesem Gebiet vorwerfen, sprechen hohe israelische Sicherheitsbeamte von einer weitgehenden Kooperationsbereitschaft, zumindest bei der Suche nach den jüngsten Selbstmordattentätern und ihren Auftraggebern.
Nach dem Anschlag Ende Juli hatte Ross als „vertrauensbildende Maßnahmen“ zur Wiederaufnahme der Verhandlungen einen weiteren israelischen Teilrückzug, den vorläufigen Stopp des Siedlungsbaus und die sofortige Aufnahme der Abschlußverhandlungen vorgeschlagen. Doch es gelang ihm nicht, die Zustimmung der israelischen Regierung zu erhalten. Auch den palästinensischen Beschwerden über Israels Verletzungen des Oslo-Abkommens konnte er kein Gehör verschaffen. Es gelang ihm nicht einmal, die Mischung aus Bestrafung und Erpressung zu lockern, die Netanjahu gegen die Autonomiebehörde verhängt hatte.
Die Palästinenser befürchten nun, daß Albright nach dem neuerlichen Terroranschlag nur noch die Themen Sicherheit und Abschlußverhandlungen im Gepäck haben wird. Dies um so mehr, als Netanjahus Erklärung, den zweiten israelischen Teilrückzug auszusetzen, der zum 7. September vereinbart war, bei der US-Regierung keine Kritik auslöste. In palästinensischen Augen geht es Netanjahu vor allem darum, weitaus weniger Gebiete an die Palästinenser zurückzugeben, als im Oslo-Abkommen in Aussicht gestellt. Und Netanjahu macht gar keinen Hehl aus dieser Absicht. Er rechtfertigt dies mit „israelischen Sicherheitsbedürfnissen“. Eine Regierungsstudie zur Vorbereitung der Abschlußverhandlungen, die im Frühjahr als Versuchsballon gezielt veröffentlicht wurde, schlug vor, den Palästinensern nicht mehr als 40 Prozent des Westjordanlandes zu übergeben, aufgeteilt in abriegelbare Bantustans, die militärisch leicht zu kontrollieren wären.
Yassir Arafats PLO-Organisation Al-Fatah hat angesichts des Albright-Besuchs denn auch davor gewarnt, daß USA und Israel einer finanziell geschwächten und belagerten Autonomiebehörde den Gang zukünftiger Verhandlungen diktieren wollten. Eine beschränkte US-Initiative, die die vorgesehenen Zwischenetappen übergehe, käme, so Al-Fatah, einem Bruch des Oslo-Abkommens gleich.
Hätte die israelische Regierung beispielsweise die vereinbarten Teilrückzüge eingehalten, würden die Palästinenser bei Beginn der Abschlußverhandlungen 70 Prozent des Westjordanlandes kontrollieren und nicht, wie gegenwärtig, lediglich 2,5 Prozent, erklärte Al-Fatah. Überdies bestehe die Gefahr, daß alle jene Vereinbarungen, die Israel bislang nicht umgesetzt habe, erneut zum Gegenstand des Verhandlungspokers würden, namentlich die Freilassung politischer Gefangener, der Bau von See- und Flughafen in Gaza und die Verbindungsstraße zwischen dem Gaza-Streifen und dem Westjordanland. Genau dies könnte freilich erklären, warum die Netanjahu-Regierung mit aller Macht auf eine sofortige Aufnahme der Abschlußverhandlungen und eine Aussetzung der Interimsabkommen drängt.
Es ist eine schlichte Tatsache, daß die Friedensverhandlungen seit der Wahl Netanjahus vor knapp anderthalb Jahren einen Rückschlag nach dem anderen erlebt haben. Manche sagen, daß die Zusammensetzung der israelischen Regierungskoalition Netanjahu nicht erlaube, die Oslo-Vereinbarungen tatsächlich umzusetzen. So würde die Zustimmung Netanjahus zu einem Stopp des Siedlungsbaus zum Bruch der Regierung führen. Andere meinen, daß Netanjahu genau das macht, was er beabsichtigt – nämlich Oslo zu torpedieren und den Palästinensern dafür die Schuld in die Schuhe zu schieben. Die jüngsten Terroranschläge von Hamas hätten ihm dazu alle Gelegenheit gegeben.
Netanjahu setzt darauf, daß Arafat in den USA kein wohlgelittener Politiker und der US-Kongreß proisraelischer ist als die Knesset. Aber das garantiert ihm keine Narrenfreiheit. Seine Politik gefährdet über kurz oder lang die Interessen der USA in der Region, weil sie selbst Staaten wie Jordanien und Saudi-Arabien wieder auf Konfrontationskurs zwingt. Wenn aber die strategischen Interessen der USA in der Region tangiert sind, wird Madeleine Albright Tacheles reden, auch mit Netanjahu. Zurückhaltende Höflichkeit ist ihre Sache nicht. Eine US-Initiative, der es nicht gelingt, die Sicherheitsinteressen Israels mit den nicht weniger legitimen politischen Forderungen der Palästinenser zu verknüpfen, führt die gesamte Region in die Katastrophe. Das weiß auch Madeleine Albright. Georg Baltissen
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