Friedensdemonstration in Algerien verboten

■ Provinzverwaltung entzieht dem „Marsch für eine Dialoglösung“ die Genehmigung. Ein Dorf bei Algier wurde zweimal in 24 Stunden überfallen

Berlin (taz) – Die Front der Sozialistischen Kräfte (FFS) hatte sich ein heeres Ziel gesteckt: das ohnmächtige Schweigen brechen, in das die algerische Bevölkerung angesichts der erneuten Welle der Gewalt versinkt. Daraus wird nichts. Die Provinzverwaltung von Algier hat gestern den geplanten „Marsch für Frieden und soziale Gerechtigkeit“ verboten. „Gründe dafür wurden uns nicht genannt“, beschwert sich FFS-Sprecher Samir Bouakouir. Es ist nicht das erste Mal, daß die Militärs um Präsident Liamine Zéroual eine Demonstration „für eine Dialoglösung“ verbieten lassen. Die FFS, die Partei des charismatischen Bürgerkriegsveteranen Hocine Ait Ahmed, hat es dieses Jahr bereits dreimal zuvor versucht. Immer ohne Erfolg.

„Dieses Mal werden wir keine Ruhe geben“, kündigt Bouakouir an, „wir bereiten für Donnerstag ein Sit-in vor, um ein Zeichen zu setzen.“ An der Aktion werden sich die Mitglieder des Politbüros und die 20köpfige Parlamentsfraktion der Sozialisten beteiligen.

Die FFS hatte sowohl den „Pakt von Rom“ 1994 als auch den „Appell für den Frieden“ vom letzten Herbst maßgeblich mitinitiiert. Beide Bündnisse forderten einen „Nationalen Aussöhnungsprozeß“. Unter den beteiligten Oppositionsparteien war auch die Islamische Heilsfront (FIS), deren Verbot 1992 den Konflikt auslöste. „Das Demonstrationsverbot zeigt, daß die Regierung auch weiterhin auf eine rein militärische Lösung des Konflikts setzt“, sagt Bouakouir. Doch die wird immer unwahrscheinlicher. In den letzten vier Wochen fielen mehr als 1.000 Menschen den Massakern und Anschlägen zum Opfer. Seit Kriegsbeginn zählen einheimische Menschenrechtsgruppen bereits über 120.000 Tote. Die Terrorkommandos, die vermutlich zu den Islamischen Bewaffneten Gruppen (GIA) gehören, sind mehr als nur „versprengte Reste“, auch wenn Präsident Zéroual nicht müde wird, dies zu beteuern.

Sie operieren selbst in den Außenbezirken Algiers völlig ungehindert: Sidi Youcef, ein Elendsviertel von Algier, wurde am vergangenen Wochenende gleich zweimal überfallen. Am Donnerstag wurden mindestens 87 Menschen getötet, keine 24 Stunden später waren es weitere 50. In Sidi Moussa sieht es nicht besser aus. Das Dorf war vor einer Woche Ort des mit über 300 Toten blutigsten Überfalls seit Ausbruch des Bürgerkrieges vor über fünf Jahren. Diesen Sonntag wurden dort drei Feldarbeiter grausam ermordet. Die Soldaten in den nahen Kasernen griffen nicht ein. Seit einigen Nächten nehmen die Bewohner der Banlieue Algiers die Sicherheit selbst in die Hand. Spontan gegründete Bürgerwehren patrouillieren mit Äxten und Knüppeln.

Angesichts der sich verschärfenden Lage in Algerien rät amnesty international der Europäischen Union von einem Assozierungsabkommen mit Algier ab. Pro Asyl verlangt von der Bundesregierung einen sofortigen Abschiebestopp von algerischen Flüchtlingen in ihre Heimat. „Es ist unerträglich und unverantwortlich, daß Bonn weiterhin die algerischen Machthaber hofiert“, heißt es in einer Erklärung von Pro Asyl. Reiner Wandler