"Umverteilung reicht als Rezept nicht aus"

■ Matthias Berninger ist 26, Bundestagsabgeordneter der Grünen und hat ein Papier gegen die "Alten" in der Partei mitverfaßt

taz: Kommen die Jungen in der Partei mit den Alten nicht mehr klar?

Matthias Berninger: Wir kommen schon mit ihnen klar, aber wir haben das Problem, daß uns die Vorbereitung auf die Wahl im nächsten Jahr nicht ausreicht. Es gibt zuviel Leisetreterei. Viele ruhen sich auf den guten Umfrageergebnissen aus.

In dem Papier, das Sie zusammen mit anderen jungen Grünen verfaßt haben, befürchten Sie, daß die 68er in der Partei eher über ihre Revolte von damals erzählen, als ordentlichen Wahlkampf zu machen?

Das zeigt sich doch schon daran, daß man über Themen wie Globalisierung ähnlich ritualisiert streitet, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Das macht es schwierig, ein zukunftsfähiges Regierungsprogramm aufzustellen. Es werden doch ständig alte Rezepte ausgepackt. Immer wenn es um die Haushaltsmisere geht, kommen diejenigen, die ich angreife, zu dem Schluß, Umverteilung sei das Rezept. So einfach ist es aber nicht.

Wen greifen Sie denn an?

Ich nenne keine Personen. Ich schaue mich nur in meiner Partei um und stelle fest, daß wir zur Zeit nicht in der Lage wären, 1998 die Macht zu übernehmen.

Woran liegt das?

Die 68er haben sich noch nicht bewußt gemacht, was es heißt, gegen Kohl anzutreten. Es kann doch nicht sein, daß eine Partei mit so vielen wohlhabenden Mitgliedern Schwierigkeiten hat, einen Wahlkampf zu finanzieren. Jedes Parteimitglied, vor allem die vielen wohlhabenden 68er, müssen sich doch überlegen, was sie finanziell beitragen können – da liegt einiges im argen.

Was kritisieren Sie noch?

Es gibt bislang keinen konkreten Vorschlag, wie eine mögliche rot-grüne Regierung 1998 Reformen in Gang setzen will. Ich möchte gerne, daß die Bevölkerung vorher weiß, was sie 1998 von einer rot-grünen Regierung erwarten kann.

Haben die Jungen denn konkrete Vorschläge?

Nicht zu allen Punkten, das wäre auch vermessen. Aber zu einigen Punkten haben wir konkrete Vorschläge. Ich habe zum Beispiel im Bildungsbereich Vorschläge entwickelt, wie man Bafög für alle hinbekommt. Studierende, die später viel verdienen, sollen am Bafög beteiligt werden. Was die Renten betrifft, so haben wir einen Generationenfonds ausgearbeitet. In Hessen haben wir versucht, mehr junge Lehrer an die Schulen zu bekommen. Wir haben mit dem Dogma gebrochen, daß wir nur Vollzeit einstellen. Wir stellen lieber mehr Lehrer ein, dafür aber für 80 Prozent ihrer Bezüge.

Gibt es auch thematische Auseinandersetzungen zwischen den Jungen und den Alten?

Was die Prioritätensetzung angeht. Wir sind der Meinung, daß das Bildungsthema viel stärker in den Vordergrund gehört. Wie ich aber bisher in den Strategieplänen gesehen habe, ist das Thema völlig unterbewertet. Bildungsreform muß eines der Kernthemen für 1998 sein. Auch das Thema Selbständigkeit wird unterbewertet. Im Vergleich mit anderen Industrieländern fehlen uns 1,5 Millionen Selbständige.

Was ist Ihnen für die anstehende Wahl besonders wichtig?

Die Grünen sollen ganz konkrete Vorschläge und eine klare Aussage zugunsten Rot-Grün machen. Wir müssen auf interne Streitigkeiten im Vorfeld der Wahl verzichten – und dann Helmut Kohl ablösen, das wäre mein Traum. Dafür muß allerdings noch viel passieren, denn eine Strategie für den Wahlkampf haben die Grünen noch nicht. Interview: Nicol Ljubic