Druck vom Staat

■ Lehrstellenmisere: Rüttgers will künftig ausbildende Betriebe bei der öffentlichen Auftragsvergabe bevorzugen

Bonn (dpa/taz) – Als alarmierend hat Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers (CDU) die Lage auf dem Lehrstellenmarkt bezeichnet. 152.100 Jugendliche sind derzeit ohne Lehrstelle, bestätigte der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Bernhard Jagoda. Zur Zeit sind noch 57.800 Ausbildungsplätze frei. Damit konnte erstmals nicht einmal rein rechnerisch die Schere zwischen Ausbildungsangebot und -nachfrage geschlossen werden.

Diese jüngsten Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit bedeuteten einen „enormen Rückschlag“, sagte Rüttgers gestern. Besonders dramatisch sei die Situation in den neuen Bundesländern. Aber auch im Westen, vor allem im Ruhrgebiet, Niedersachsen und Hessen, gibt es erhebliche Engpässe.

Da es keinen „Königsweg“ für mehr Ausbildung gebe, wolle die Bundesregierung ihre Politik der Appelle fortsetzen, aber auch Anreize geben, so Rüttgers. So sollen künftig ausbildende Betriebe bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen bevorzugt werden. Dies wird das Kabinett nach Angaben von Rüttgers heute beschließen. Bisher hatte sich Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) gegen diesen Vorschlag ausgesprochen.

Die SPD hatte am Wochenende einen Gesetzesentwurf zur Lehrstellenfinanzierung vorgestellt, in dem sie eine Abgabe für Unternehmen fordert, die unter ihren Kapazitäten ausbilden. Diesen Vorstoß lehnt Rüttgers weiterhin ab. Damit könnten sich die Unternehmen aus der Verantwortung freikaufen, erklärte der Minister zur Begründung.

Die Gesamtzahl der Jugendlichen, die in diesem Jahr bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz leer ausgingen, werde „noch um einiges über 200.000“ liegen, schätzte das DGB-Vorstandsmitglied Regina Görner gestern in Düsseldorf.

Auch für das nächste Jahr sieht der DGB schwarz. Mehr als die Hälfte der zusätzlichen Lehrstellensuchenden seien bereits jetzt Altnachfrager, die nach einer Warteschleife erneut auf den Ausbildungsmarkt drängten. Diese Entwicklung werde sich noch verstärken und im kommenden Jahr die Bewerberzahlen „in astronomische Höhen schnellen lassen“.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund bekräftigte deshalb seine Forderung nach einer Umlagefinanzierung für die Lehrstellen. Nur so könne der rückläufigen Ausbildungsbereitschaft in der Wirtschaft ein Riegel vorgeschoben werden. „Ich fordere die im Bundestag vertretenen Parteien auf, umgehend ein Gesetz zur Schaffung eines Lastenausgleichs zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben einzubringen“, sagte Görner. Ein solches Gesetz könne zum 1. Juni 1998 in Kraft treten und damit für das nächste Ausbildungsjahr bereits wirksam werden. ua