■ Vorschlag: Oberförster und so: Trash-Versuch im Theater im Schoko-Laden
Vorschlag
Oberförster und so: Trash-Versuch im Theater im Schoko-Laden
Das Plakat: eine wunderschöne, quietschblonde Frau, hingegossen zwischen obskuren Meßgeräten. Das Programmheft: ein Traktat über die Ameise im allgemeinen und besonderen als programmatischer Kern, umkränzt von einem hinreißenden Konvolut absurder Texte des Dramaturgen Christian Gröschel. Die Location: der vollendet abgewrackte, kerzenerleuchtete Raum des Theaters im Schoko-Laden. Der Titel: vielversprechend.
„Unter dem Oberförster. Borkenkäferphantasien“ ist das Motto des Theaterabends, den Regisseurin Annette Kuß mit den jungen SchauspielerInnen Andrea Köhler, Inken Kempf und Sebastian Weber erarbeitet hat. Das Ziel ist also Trash: Volksbühne, ick hör' dir trapsen. Und wirklich, im Programmheft wird Castorfs Schuppen für die Überlassung des Proberaumes gedankt, Marthaler hat großzügig gespendet.
Jetzt müssen sie nur noch spielen. Und das gehen sie sehr langsam an. Zuerst sitzen sie nur da, zwischen Uhren, Nähmaschinen und Wohnzimmerfragmenten in Gestalt kitschiger Bilder, und tragen Perücken: Frau eins – die vom Plakat – macht auf Blondie, Frau zwei auf Mireille Mathieu, der junge Mann dagegen sieht aus wie Guildo Horn. Dann passiert etwas. Sie setzen ein Metronom und verschiedene im Raum hängende Pendel in Gang und beginnen, jeder auf seine Art, durch den Raum zu schweben, zu tanzen und zu staksen. Die Blonde pfeift dabei.
Das Prinzip der Handlungen, die sich entfalten, ist Rhythmus; gleich sein, gegen den Takt sein, ausscheren, wieder mitmachen. Ob beim Herumstaksen, beim Rattern an der Nähmaschine, beim Singen. Singen können sie gut. Zum Beispiel zweistimmig, französisch und mittelalterlich. Oder „Schuld war nur der Bossanova“. Und natürlich sprechen sie auch. Sie deklamieren Texte von Annette von Droste-Hülshoff, Karoline von Günderode oder Friedrich Klopstock; sie witzeln sich durch Karl-Valentin-Szenen und ausgewählte Dada-Texte. Und wirklich schön ist, wie sie zu dritt durch drei durchsichtige Schläuche einen Becher Milch austrinken.
Aber der richtig tolle, jugendliche, revolutionäre Trash war das noch nicht. Langsamkeit ist eine Kunst, und wer sie erst übt, der quält zuweilen auch das wohlgesonnenste Publikum. Selbst wenn der Geist von Onkel Marthaler über allem schwebt. „Jaa jaa, sprach der alte Oberförster...“ Ihr wißt schon. Elke Buhr
„Unter dem Oberförster. Borkenkäferphantasien“. Noch von heute bis 14.9., 21 Uhr, Theater im Schoko-Laden, Ackerstraße 169
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