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Ohne Azubi? Verfassungsfeind!

■ Arbeitsmarktpolitiker Dürr haut Ausbildungsmuffeln das Grundgesetz um die Ohren. SPD-Fraktion beantragt, daß Verwaltung zusätzliche Lehrstellen anbietet

Klaus Dürr platzte der Kragen. Der SPD-Arbeitsmarktpolitiker bezeichnete gestern Unternehmer, die ihrer Ausbildungspflicht nicht nachkommen, als Verfassungsfeinde. Dürr schloß ausdrücklich jene Dienststellen und Einrichtungen des Landes mit ein, die ihren Azubi-Etat nicht ausschöpfen. Der Abgeordnete nannte als Beispiel die Messe GmbH. Die zu 99,7 Prozent im Landesbesitz befindliche Gesellschaft bildet insgesamt acht junge Leute aus – nach der Fünf- Prozent-Regelung müßten es aber mehr als 25 sein. Die öffentlichen Arbeitgeber haben sich selbstverpflichtet, so viele Lehrlinge einzustellen, wie fünf Prozent ihrer Beschäftigten ausmachen. Klaus Dürr ist seit über 30 Jahren arbeitsmarktpolitisch aktiv. Die derzeitige Situation zehrt an den Nerven des 58jährigen. Er erträgt die apathischen Reaktionen auf die Lehrstellenkatastrophe nicht mehr. Daher richtete Dürr einen eindringlichen Appell an Unternehmer und Senat, die noch unversorgten Jugendlichen in Lehrverhältnisse zu übernehmen. Die Ausbildungslosen von heute seien die Verlierer von morgen.

Rein rechnerisch gibt es wenige Tage nach Beginn des Lehrjahres in Berlin 8.000 mehr BewerberInnen als freie Ausbildungsplätze; im Vorjahr lag die Zahl zur gleichen Zeit bei 4.600 Teenies ohne Lehrstelle. In Brandenburg haben weitere 10.000 Jugendliche rein rechnerisch keine Chance auf eine reguläre Lehrstelle. Neben der sächsischen ist die Berliner und Brandenburger Azubi-Bilanz die miserabelste in der ganzen Bundesrepublik.

Klaus Dürr verwies auf Artikel 12 des Grundgesetzes, der all diesen junge Leuten im Prinzip das Recht auf die freie Berufswahl (umgangssprachlich: das Recht auf Bildung) zugesteht. „Wer nicht ausbildet, verstößt gegen die Verfassung“, folgerte der ehemalige Beamte Dürr. Der Sozialdemokrat griff angesichts der derzeitigen Lage zu drastischen Formulierungen. „Was bleibt uns übrig, als die Leute zum Ausbilden zu verdonnern“, sagte Dürr.

Dürr hat gestern in seiner Fraktion einen Antrag durchgebracht, der das Land verpflichtet, 10 Prozent mehr Lehrstellen anzubieten als üblich. In der Regel bildet die Landesverwaltung pro Jahr rund 11.600 junge Leute aus. Die CDU schließe sich dem Antrag an, hieß es. Dürr drängt auch darauf, wie 1996 die nicht ausgeschöpften Ausbildungsetats bei Arbeitssenatorin Christine Bergmann (SPD) zu sammeln – um daraus Notlehrstellen zu finanzieren. Christian Füller

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