Mich ärgert die Debatte über Anreize ungeheuer

■ Andrea Fischer, sozialpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen im Bundestag, befürchtet, daß auch staatlich subventionierte Löhne den Langzeitarbeitslosen nicht helfen werden

taz: Die Arbeitgeber fordern die Subventionierung von Niedriglöhnen, auch der Deutsche Gewerkschaftsbund und die SPD wollen jetzt darüber diskutieren. Sind Kombilöhne sinnvoll?

Andrea Fischer: Ich selbst bin skeptisch, ob der Kombilohn überhaupt etwas bewirken würde. Viele, die das jetzt vorschlagen, behaupten, dann würden neue Jobs entstehen, die sich heute noch nicht lohnten. Diesen Zusammenhang sehe ich nicht zwingend. Bisher sind die einfachen Jobs zunehmend wegrationalisiert worden.

Die Arbeitgeber, inzwischen aber auch die Sozialdemokraten, sprechen immer wieder von „Anreizen“, die man Sozialhilfeempfängern geben müßte, damit sie auch einen schlecht bezahlten Job annehmen.

Mich ärgert diese Debatte über „Anreize“ ungeheuer, und sie ist auch empirisch überhaupt nicht gedeckt. Mit der Rede vom Anreiz wird doch unterstellt, die Reintegration in den Arbeitsmarkt hänge nur vom Preis der Arbeit ab. Aber unter den erwerbsfähigen SozialhilfebezieherInnen haben doch viele nicht Probleme auf dem Arbeitsmarkt, weil sie zu hohe Löhne fordern, sondern weil die auf Globalisierung getrimmte Wirtschaft sie wegen irgendwelcher Handicaps ausgemustert hat. Diese Leute sind oft demoralisiert, haben gesundheitliche Einschränkungen, sind dem harten Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt gar nicht mehr gewachsen. Die kann man nicht einfach in irgendwelchen Niedriglohnjobs auf dem normalen Arbeitsmarkt unterbringen.

Wollen die Arbeitgeber mit der Lohnsubventionierung nicht einfach auch Geld sparen?

Die Gefahr besteht. Wenn man das flächendeckend macht, dann wird das zu einer umfassenden Lohnkostensubvention. Und dann ist die Gefahr von Mitnahmeeffekten ohne Beschäftigungswirkung groß. Wird wirklich ein Arbeitsplatz geschaffen. Oder sagen die Arbeitgeber: prima, ich kann mich von einem Teil meiner Lohnkosten entlasten. Die Auswirkungen für die öffentlichen Haushalte sind unabsehbar.

Immerhin ist sogar DGB-Chef Schulte jetzt für Modellversuche mit dem Kombilohn.

Man sollte in der Tat im Moment arbeitsmarktpolitisch nichts unversucht lassen. Das behauptete Problem mit der Armutsfalle und dem Anreiz könnte man im Experiment prüfen. So daß einzelne Kommunen die Hinzuverdienstgrenzen großzügiger gestalten und sehen, ob tatsächlich mehr Leute aus der Sozialhilfe in Arbeit wechseln.

Die Grünen haben schon vor längerem ein Modell für eine Grundsicherung vorgelegt.

Wir sind für ein Transfersystem, mit dem sowohl niedrige Löhne als auch niedrige Renten und sonstige Einkommen auf ein existenzsicherndes Maß aufgestockt werden. Nach meinem Vorschlag – die Partei entscheidet das im November – soll das Existenzminimum für eine alleinstehende Person bei 1.200 Mark liegen, von einem etwaigen Zuverdienst soll man bis zu 400 Mark behalten können.