Ein Herz für Billigjobs

■ Kombilohn, so heißt ein neues Modell zum Abbau von Arbeitslosigkeit. Wer wenig verdient, soll einen Zuschlag vom Staat erhalten. In die Debatte geworfen wurde es von den Arbeitgebern. Aus eigennützigen Gründen. Von

Ein Herz für Billigjobs

Die Arbeit macht schon Spaß. „Wenn die Buffet- Garnierung hübsch geworden ist, freue ich mich“, sagt Köchin Vera Barth aus Brandenburg. Die 1.550 Mark netto auf dem monatlichen Konto hingegen, „das ist traurig“. Vera Barth, Hotelköchin in Brandenburg und mehrfache Mutter, wäre ein Fall für den Kombilohn. „Kombi“: das bedeutet eine Kombination aus niedrigem Arbeitseinkommen und öffentlicher Subventionierung. Der neue Kombilohn wird inzwischen nicht nur von den Arbeitgebern befürwortet, sondern auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) verstohlen angepeilt.

Beeindruckt von einem USA- Besuch will DGB-Chef Dieter Schulte mit den Arbeitgebern „zielstrebig“ über das Thema reden. „Ich könnte mir vorstellen, daß eine intelligente Form des Kombilohns für eine Versuchsphase in Tarifverträge aufgenommen wird“, meint Schulte.

Die Arbeitgeber wollen mehr als Minister Seehofer

Die Idee kommt aus den USA, wo Familien mit Niedriglöhnen durch den sogenannten „Earned Income Tax Credit“ eine kleine Aufstockung erhalten. Im Vergleich zu Deutschland sind das allerdings echte Hungerlöhne. Eine Familie mit zwei oder mehr Kindern bekommt eine Aufstockung von einigen hundert Mark, wenn sie ein Arbeitseinkommen von weniger als umgerechnet 1.380 Mark im Monat nach Hause bringt. Wer darüber liegt, muß bis zur Grenze von 1.804 Mark keine Einkommenssteuer zahlen. „Erste Studien zeigen eine höhere Erwerbsquote von zuvor arbeitslosen Haushalten und belegen so die positiven Anreizeffekte“, heißt es in einem internen Diskussionspapier der Arbeitgebervereinigung BDA.

Für Deutschland wollen die Arbeitgeber ein ähnliches System einführen. Wer wenig verdient, bekommt zwar jetzt schon eine Aufstockung durch die Sozialhilfe. Die Anrechnung von Erwerbseinkommen soll nach den BDA-Konzepten aber großzügiger ausfallen als bisher. Derzeit wird beispielsweise ein Erwerbseinkommen in Höhe von 1.000 Mark bis auf einen Freibetrag von 263 Mark vollständig auf die Sozialhilfe angerechnet. Eine alleinstehende Hilfsarbeiterin im Großhandel beispielsweise, die einen Arbeitsverdienst von 1.381 Mark netto nach Hause bringt, bekommt nach der geltenden Regelung keine Sozialhilfe. Nach den Vorschlägen der BDA erhielte sie eine Aufstockung von 151 Mark.

Eine alleinerziehende Mutter eines Kindes in der gleichen Branche mit einem Arbeitseinkommen von 1.467 Mark netto erhält derzeit vom Sozialamt 596 Mark, nach dem BDA-Vorschlag gibt es 817 Mark monatlichen Zuschuß.

Zwar läßt auch Gesundheitsminister Seehofer eine Verordnung ausarbeiten, die es für Sozialhilfeempfänger lohnender machen soll zu arbeiten. BDA-Chef Hundt hält diese jedoch für „unzureichend“. Nach Seehofers Plänen soll der Freibetrag für jobbende Sozialhilfeempfänger noch mal um zehn Prozent der Summe erhöht werden, die das Einkommen die 1.000- Mark-Grenze übersteigt. Im Klartext: Wer 1.500 Mark verdient, dem werden außer den 263 Mark noch mal schlichte 50 Mark Freibetrag zugestanden.

Die Arbeitgeber entdecken ihr Herz für die kleinen Leute nicht uneigennützig. Die BDA prophezeit „die Schaffung eines Niedriglohnsektors“, wenn die Sozialhilfe entsprechend reformiert würde. Dazu wollen die Arbeitgeber nicht nur angebliche „Anreize“ einsetzen, sondern auch massiven Druck ausüben: Nach ihren Vorschlägen sollen ältere Arbeitslose nicht mehr 32 Monate, sondern nur noch 12 Monate Arbeitslosengeld bekommen. Die Sozialhilfesätze würde die BDA gern einfrieren.

„In Deutschland gibt es ein unausgeschöpftes Potential bei einfachen Tätigkeiten“, behaupten die Experten in dem BDA-Papier. Einen empirischen Beleg für diese Behauptung gibt es nicht. Aber einen ersten unfreiwilligen Großversuch in Sachen „Kombilohn“ und schlecht bezahlte Jobs.

Seit vergangenem Jahr bekommen Langzeiterwerbslose vom Arbeitsamt eine „Aufwandsentschädigung“ von täglich 25 Mark zuzüglich zum Tariflohn, wenn sie sich bei der Erntearbeit einsetzen lassen. Rund 4.500 Langzeitarbeitslose sind bis Juli bundesweit zum Ernteeinsatz geschickt worden. Nur für knapp über 2.000 der vermittelten Erntehelfer wurde anschließend der Zuschuß vom Arbeitsamt gezahlt: Mehr als die Hälfte, so läßt sich daraus schließen, gaben auf oder ließen sich von vornherein krank schreiben. Arbeitsminister Blüm hatte ursprünglich ein Potential von 100.000 Jobs und mehr in der Ernte vermutet. „Das Hauptproblem sind gesundheitliche Einschränkungen“, formuliert Petra Röhlinger, Sprecherin des Landesarbeitsamtes Berlin-Brandenburg.

5,85 Mark gibt's für Erntehelfer in Brandenburg

Vielleicht ist es auch eine Frage der Bezahlung und der Arbeitsbedingungen. In Brandenburg bedeutet dies beispielsweise bei der Apfelernte: Für acht Mark netto in der Stunde pflücken, eine Tonne Äpfel am Tag müssen geerntet werden. Dafür gibt es den tariflichen Bruttolohn von 5,85 Mark brutto in Brandenburg für die Obsternte. Das Arbeitsamt legt noch 25 Mark am Tag drauf. „Das sind sehr harte Bedingungen“, sagt Steffi Hildebrand, Abschnittsleiterin beim Arbeitsamt Frankfurt (Oder).

Das Frankfurter Arbeitsamt wertet es schon als Erfolg, daß sich immerhin 400 Langzeitarbeitslose auf Anfrage des Arbeitsamtes bereit erklärten, sich zum Ernteeinsatz abkommandieren zu lassen. Sperrzeiten für Erwerbslose, die nicht wollen, gibt es nicht. „Bei diesen harten Arbeitsbedingungen und einem Stundenlohn von acht Mark netto können wir keinen zwingen, wenn einer nicht will.“

Welcher Bruttolohn rechtens ist, dazu hat unlängst das Landesarbeitsgericht Berlin geurteilt. Eine Speditionsfirma hatte einem Fahrer wechselnd einen Bruttolohn von sechs Mark und zehn Mark in der Stunde gezahlt. Die Vereinbarung einer Vergütung in Höhe von sechs Mark sei „selbst dann, wenn man annimmt, daß das Lohnniveau in der entsprechenden Branche und in der Region Berlin außerordentlich niedrig liegt, nicht mehr als ,billig und gerecht‘ anzuerkennen“, urteilte das Gericht. Vielmehr sei von einer Vergütung in Höhe von zehn Mark brutto als „billigem Ermessen“ entsprechend auszugehen. Die Firma wurde dazu verurteilt, den fehlenden Betrag nachzuzahlen.