Der Gesang des Göttlichen

■ Eine Ausstellung im Übersee-Museum gibt einen Vorgeschmack auf die erste Islam-Woche

Mohammed ben Salem stammt aus Tunesien und ist seit 1970 Bremer Bürger. Er ist 49 Jahre alt, E-Schweißer in Vegesack und malt in seiner freien Zeit Bilder, die den „fließenden Gesang des Göttlichen“einzufangen versuchen.

Ein Anspruch, dem die islamische Kunst der Kalligraphie seit mehr alszehn Jahrhunderten verpflichtet ist, erklärte Mehmet Kilinc, Sprecher des Zentralinstitutes Islam-Archiv Deutschland, als er am Donnerstag im Übersee-Museum die Ausstellung mit etwa 20 Bildern des Künstlers Mohammed ben Salem eröffnete. Ein Anspruch gleichwohl, ergänzte die Bremer Ausländerbeauftragte Dagmar Lill, der in den Augen der hiesigen Mehrheitsbevölkerung fremd erscheinen mag. Doch nur in der Auseinandersetzung mit eben diesem Fremden könne ein friedlicher Dialog der Kulturen stattfinden, mahnte sie und verwies auf die Erste Bremer Islam-Woche, die am 21. Septemer beginnt.

Nimmt man die BesucherInnenzahl der Ausstellungseröffnung als Indikator für Dialogbereitschaft, so scheint sie recht gering zu sein. Nur wenige Menschen folgten den Ausführungen von Mehmet Kilinc, der einen tiefen Einblick gab in die Kunst der arabischen Kalligraphie und Ornamentik, die ihre Entstehung und Entwicklung zu höchster Kunstform dem Bilderverbot des Islam verdanken. Tiere, Menschen oder gar Gott bildlich darzustellen, gilt als Tabu, denn: „nur Allah kann erschaffen“, meinte Kilinc mit einem Seitenhieb auf den Machbarkeitswahn der Genetiker.

Dem islamischen Künstler geht alles Sein auf das geschriebene Wort zurück, auf den heiligen Text, von dem alles ausgeht und zu dem alles zurückkehrt: „Der heilige Text bleibt das axiale Prinzip. Der islamische Künstler entwirft die Illusion eines Gegenstandes, der einem Bereits-Geschriebenen zugeordnet ist.“Die Kalligraphie ist die Illustration des Sakralen. Sie vollzieht nach, was dem Menschen durch die göttliche Stimme eingegeben wurde, und ist ein Abbild der Seele Allahs, der „fließende Gesang des Göttlichen“.

Das Wesen der Kunst besteht folglich darin, immer wieder neu zu gestalten, was bereits vorhanden ist. Form und Inhalt folgen diesem Prinzip: Verse aus dem Koran werden mit Arabesken versehen, die das Gleichnis einer Weltordnung repräsentieren, die sich in fortdauerndem, zyklischem Wechsel immer wieder selbst erneuert: Mäander werden als Stetigkeit des Lebens gedeutet, der Kreis als Symbol der Ewigkeit, Rosetten und Palmen als Bildnis von Geburt und Reife.

Nicht alle Werke des Künstlers Ben Salem widmen sich der rein kalligraphischen Darstellung von Koransuren. Zwei Bilder etwa verarbeiten Eindrücke aus Bosnien. Eines zeigt die Gazi-Husrev-Beg-Moschee in Sarajewo, das andere die zum Symbol gewordene und vom Künstler rekonstruierte Brücke von Mostar – politische Bilder, in denen er die „heilige Botschaft des Friedens“verarbeitet hat. Noch überraschender muten drei Werke an, auf denen, der reinen Lehre zum Trotz, doch Menschen abgebildet sind. Er wolle den Deutschen schließlich auch sein Heimatland zeigen, hebt Ben Salem die Hände. Und dafür, lächelt er, habe Allah sicher Verständnis.

Vielleicht ein Indiz für das, was Mehmet Kilinc in seiner Einführungsrede prognostizierte: Die islamische Kunst konzentriere sich keineswegs rings um Mekka oder Istanbul, sie stelle vielmehr eine vielgestaltige Landschaft ohne genauen Mittelpunkt dar. Sie verdanke ihre Ausformung unterschiedlichsten Einflüssen, meinte er und, mit Blick auf den Bremer Künstler, demnächst wohl auch dem Einfluß deutscher Prägung. Eine Öffnung, die er durchaus für wünschenwert hält, denn: „Jede Kultur bereitet sich selber eine Freude, indem sie die andere auf den Boden ihrer Verschiedenartigkeit drängt.“

Dora Hartmann

Die vom Bremer Informationszentrum für Menschenrechte organisierte Ausstellung ist bis zum 28. September zu sehen